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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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gut für dich.«
    »Warum?«
    »Warum was?«
    »Es ist auch ihre Kacke. Warum ist sie böse?«
    »Sie ist nicht böse, sie ist nur empfindlich. Manche Menschen sind empfindlich, das ist ihre Natur, man weiß nicht warum. Aber man braucht nicht empfindlich zu sein, weil, wie ich dir gesagt habe, es ab einem bestimmten Punkt nicht die Kacke einer bestimmten Person ist, es ist einfach Kacke. Du kannst mit jedem Klempner reden und er wird dir dasselbe sagen. Der Klempner schaut sich die Kacke nicht an und sagt zu sich:
Wie interessant, wer hätte gedacht, dass Señor
X oder Señora
Y solche Kacke hat!
Das Gleiche trifft auf den Bestatter zu. Ein Bestatter sagt nicht zu sich:
Wie interessant!
…« Er hält inne.
Ich lasse mich hinreißen
, denkt er,
ich rede zuviel
.
    »Was ist ein Bestatter?«, fragt der Junge.
    »Ein Bestatter bestattet die Leichen. Er ist wie ein Klempner. Er sorgt dafür, dass Leichen an den rechten Ort kommen.«
    Und jetzt wirst du gleich fragen: Was ist eine Leiche?
    »Was sind Leichen?«, fragt der Junge.
    »Leichen sind Körper, die vom Tod heimgesucht wurden, für die wir keine Verwendung mehr haben. Aber wir müssen uns keine Sorgen über den Tod machen. Nach dem Tod gibt es immer ein anderes Leben. Das hast du erlebt. Wir Menschen haben in dieser Beziehung Glück. Wir sind nicht wie Kacke, die zurückbleiben und wieder mit Erde vermischt werden muss.«
    »Wie sind wir?«
    »Wie sind wir, wenn wir nicht wie Kacke sind? Wir sind wie Ideen. Ideen sterben nie. Das wirst du in der Schule lernen.«
    »Aber wir machen Kacke.«
    »Das stimmt. Wir haben Teil am Ideal, aber wir machen auch Kacke. Das kommt, weil wir eine doppelte Natur haben. Ich weiß nicht, wie ich es noch einfacher ausdrücken soll.«
    Der Junge schweigt.
Das kann er sich gründlich durch den Kopf gehen lassen
, denkt er. Er kniet sich neben die Toilettenschüssel und rollt sich den Ärmel hoch, soweit es geht. »Geh mit deiner Mutter spazieren«, sagt er. »Geh schon.«
    »Und der Bestatter?«, fragt der Junge.
    »Der Bestatter? Das ist nur ein Beruf wie jeder andere. Der Bestatter unterscheidet sich nicht von uns. Auch er hat eine doppelte Natur.«
    »Kann ich ihn sehen?«
    »Nicht im Moment. Wir haben im Moment anderes zu tun. Wenn wir das nächste Mal in die Stadt gehen, werden wir sehen, ob wir ein Bestattungsunternehmen finden. Dann kannst du dir den Bestatter anschauen.«
    »Können wir uns Leichen anschauen?«
    »Nein, bestimmt nicht. Der Tod ist eine Privatangelegenheit. Der Bestatter hat einen diskreten Beruf. Bestatter zeigen der Öffentlichkeit keine Leichen. Genug jetzt davon.« Er stochert mit dem Draht hinten in der Schüssel. Er muss es irgendwie schaffen, dass der Draht der S -Kurve des Siphons folgt. Wenn die Verstopfung nicht im Siphon sitzt, dann muss sie im Verbindungsstück draußen sitzen. Wenn das der Fall ist, weiß er nicht, wie er sie beheben soll. Er wird dann aufgeben und einen Klempner suchen müssen. Oder jemanden der vorgibt, einer zu sein.
    Das Wasser, in dem noch Klumpen von Inés’ Kacke herumschwimmen, schließt sich über seiner Hand, seinem Handgelenk, seinem Unterarm. Er schiebt den Draht mit Druck die S -Kurve hinab.
Antibakterielle Seife
, denkt er:
Ich werde mich hinterher mit antibakterieller Seife waschen müssen, mit der Handbürste sorgfältig meine Nägel bearbeiten. Weil Kacke nur Kacke ist, weil Bakterien nur Bakterien sind.
    Er fühlt sich nicht wie ein Wesen mit einer doppelten Natur. Er fühlt sich wie ein Mann, der nach einer Verstopfung in einem Abwasserrohr herumstochert und dazu primitive Werkzeuge benutzt.
    Er zieht den Arm zurück, zieht den Draht zurück. Der Haken am Ende hat sich aufgebogen. Er biegt den Haken erneut.
    »Du kannst eine Gabel nehmen«, sagt der Junge.
    »Eine Gabel ist zu kurz.«
    »Du kannst die lange Gabel in der Küche nehmen. Du kannst sie zurechtbiegen.«
    »Zeig mir, was du meinst.«
    Der Junge trottet davon und kommt mit der langen Gabel zurück, die bei ihrer Ankunft in der Wohnung war, für die er nie eine Verwendung hatte. »Du kannst sie biegen, wenn du stark bist«, sagt der Junge.
    Er biegt die Gabel zu einem Haken und schiebt sie durch die S -Kurve bis sie nicht weiter kommt. Als er die Gabel zurückzuziehen versucht, spürt er einen Widerstand. Zuerst allmählich, dann schneller kommt der Pfropfen hoch: ein Stoffbausch mit Plastikfolie. Das Wasser in der Schüssel fällt. Er zieht an der Kette. Sauberes Wasser rauscht durch. Er wartet, zieht

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