Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
der Vater des zukünftigen Kindes? Weil sie eine natürliche Verpflichtung füreinander haben? Selbstverständlich nicht. Ihre Wege kreuzen sich zufällig und sie verlieben sich. Was könnte weniger natürlich und willkürlicher sein als das? Aus ihrer zufälligen Verbindung kommt ein neues Wesen in die Welt, eine neue Seele. Wer schuldet wem in dieser Geschichte etwas? Das kann ich nicht sagen, und ich bin sicher, du auch nicht.
Ich habe dich und deinen Jungen zusammen beobachtet, Simón, und ich konnte sehen: Er vertraut dir völlig. Er liebt dich. Und du liebst ihn. Warum ihn dann weggeben? Warum solltest du dich von ihm fernhalten?«
»Nicht ich habe mich von ihm ferngehalten. Seine Mutter hat ihn von mir ferngehalten, wie es ihr Recht ist. Wenn ich wählen könnte, wäre ich noch mit ihm zusammen. Aber ich kann nicht wählen. Ich habe nicht das Recht dazu. Ich habe keine Rechte in dieser Sache.«
Álvaro schweigt, scheint sich in sich zurückzuziehen. »Sag mir, wo ich diese Frau finden kann«, sagt er schließlich. »Ich möchte mit ihr sprechen.«
»Sei vorsichtig. Sie hat einen Bruder, der ein fieser Zeitgenosse ist. Du solltest dich nicht mit ihm anlegen. Tatsächlich hat sie zwei Brüder, der eine so unangenehm wie der andere.«
»Ich kann auf mich aufpassen«, sagt Álvaro. »Wo finde ich sie?«
»Sie heißt Inés und sie hat meine alte Wohnung in der Ostsiedlung übernommen: Wohnblock B , Nummer 202 in der zweiten Etage. Sag nicht, ich hätte dich geschickt, denn das wäre nicht wahr. Ich schicke dich nicht. Das ist überhaupt nicht meine Idee, es ist deine Idee.«
»Mach dir keine Sorgen, ich werde es ihr klarmachen, dass es meine Idee ist, du hast nichts damit zu tun.«
Am nächsten Tag während der Mittagspause winkt ihn Álvaro zu sich. »Ich habe mit deiner Inés gesprochen«, sagt er ohne Vorrede. »Sie stimmt zu, dass du den Jungen sehen kannst, nur jetzt noch nicht. Am Ende des Monats.«
»Das ist eine wundervolle Nachricht! Wie hast du sie überredet?«
Álvaro macht eine abwehrende Handbewegung. »Es spielt keine Rolle, wie. Sie sagt, du kannst mit ihm spazieren gehen. Sie wird dir sagen, wann. Sie hat nach deiner Telefonnummer gefragt. Ich kannte sie nicht, da habe ich ihr meine gegeben. Ich habe gesagt, ich würde es ausrichten.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich bin. Bitte versichere ihr, dass ich den Jungen nicht belasten werde – ich meine, ich werde seine Beziehung zu ihr nicht belasten.«
Sechzehn
I nés ruft ihn schneller herbei als erwartet. Gleich am nächsten Morgen nimmt ihn Álvaro beiseite. »In deiner Wohnung gibt es eine Notsituation«, sagt er. »Inés hat angerufen, als ich gerade von zu Hause weggehen wollte. Sie wollte, dass ich zu ihr komme, aber ich habe ihr gesagt, ich hätte keine Zeit. Sei nicht beunruhigt, es hat nichts mit deinem Jungen zu tun, es sind nur die Sanitäranlagen. Du wirst Werkzeug brauchen. Nimm die Werkzeugkiste aus dem Schuppen mit. Beeil dich. Sie ist ziemlich fertig mit den Nerven.«
Inés empfängt ihn an der Tür, in einem schweren Mantel (warum? – es ist kein kalter Tag). Sie ist wirklich ziemlich fertig, ziemlich wütend. Die Toilette sei verstopft, sagt sie. Der Hausverwalter habe vorbeigeschaut, habe sich aber geweigert, etwas zu unternehmen, weil (wie er sagte) sie nicht die legale Mieterin sei, er kenne sie überhaupt nicht (sagte er). Sie habe ihre Brüder in La Residencia angerufen, aber sie hätten sie mit Ausreden abgespeist, sie seien sich zu fein (sagt sie verbittert), um sich die Hände schmutzig zu machen. Deshalb habe sie heute morgen als letzten Ausweg seinen Kollegen Álvaro angerufen, der als Arbeiter etwas von Installationen verstehen sollte. Und jetzt hat sie nicht Álvaro, sondern ihn.
Sie redet in einem fort und marschiert verärgert im Wohnzimmer auf und ab. Sie hat abgenommen, seit er sie das letzte Mal gesehen hat. Um die Mundwinkel zeigen sich verhärmte Linien. Schweigend hört er zu; aber seine Augen ruhen auf dem Jungen, der im Bett sitzt – ist er eben erst aufgewacht? – und ihn ungläubig anstarrt, als sei er aus dem Reich der Toten zurückgekehrt.
Er wirft dem Jungen ein Lächeln zu.
Hallo!
, sagt er lautlos.
Der Junge nimmt den Daumen aus dem Mund, spricht aber nicht. Man hat sein von Natur aus lockiges Haar lang wachsen lassen. Er steckt in einem hellblauen Schlafanzug, auf dem rote Elefanten und Flusspferde herumtollen.
Inés hat ihren Redefluss nicht unterbrochen. »Die
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