Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
Jungen: »Ihre Toilette ist sauber, daher – daher was?«
Der Junge runzelt die Stirn.
»Hier, unten, fließt das Wasser störungsfrei. Dort, oben« – er zeigt die Treppe hoch –, »will das Wasser nicht fließen. Daher was? Wo sind daher die Rohre verstopft?«
»Oben«, sagt der Junge selbstsicher.
»Gut! Wo sollten wir es also in Ordnung bringen: oben oder unten?«
»Oben.«
»Und wir gehen nach oben, weil das Wasser wie fließt, nach oben oder nach unten?«
»Nach unten.«
»Immer?«
»Immer. Es fließt immer nach unten. Und manchmal nach oben.«
»Nein. Niemals nach oben. Immer nach unten. Das ist die Natur des Wassers. Die Frage ist, wie kommt das Wasser nach oben in unsere Wohnung, ohne im Widerspruch zu seiner Natur zu stehen? Wie kommt es zustande, dass das Wasser für uns fließt, wenn wir den Hahn aufdrehen oder die Toilette spülen?«
»Weil es für uns nach oben fließt.«
»Nein. Das ist keine gute Antwort. Ich will die Frage anders stellen. Wie kann Wasser in unsere Wohnung kommen,
ohne
nach oben zu fließen?«
»Aus dem Himmel. Es fällt aus dem Himmel in die Wasserhähne.«
Das stimmt. Wasser fällt tatsächlich aus dem Himmel. »Aber«, sagt er und hebt einen warnenden Finger, »aber wie kommt das Wasser in den Himmel?«
Naturphilosophie. Wir wollen einmal sehen, wieviel Naturphilosophie in diesem Kind steckt.
»Weil der Himmel einatmet«, sagt das Kind. »Der Himmel atmet ein« – er holt tief Luft und hält sie an, ein Lächeln auf dem Gesicht, ein Lächeln reiner intellektueller Freude, dann atmet er dramatisch aus – »und der Himmel atmet aus.«
Die Tür schließt sich. Er hört, wie der Riegel vorgeschoben wird.
»Hat Inés dir davon erzählt – vom Atmen des Himmels?«
»Nein.«
»Hast du dir das ganz allein ausgedacht?«
»Ja.«
»Und wer ist dort im Himmel, der einatmet und ausatmet und den Regen macht?«
Der Junge schweigt. Sein Stirnrunzeln zeigt, wie er sich konzentriert. Schließlich schüttelt er den Kopf.
»Du weißt es nicht?«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Macht nichts. Wir wollen zu deiner Mutter und ihr sagen, was wir erfahren haben.«
Die Werkzeuge, die er mitgebracht hat, sind nutzlos. Nur das primitive Stück Draht kann vielleicht weiterhelfen.
»Warum geht ihr beiden nicht spazieren«, schlägt er Inés vor. »Was ich machen will, ist nicht besonders appetitlich. Ich wüßte nicht, warum unser junger Freund dem ausgesetzt werden sollte.«
»Ich würde lieber einen richtigen Klempner holen«, sagt Inés.
»Wenn ich es nicht schaffe, dann werde ich für Sie einen richtigen Klempner besorgen, versprochen. So oder so wird Ihre Toilette repariert werden.«
»Ich will nicht spazieren gehen«, sagt der Junge. »Ich will helfen.«
»Vielen Dank, mein Junge, das weiß ich zu schätzen. Aber es ist keine Arbeit, bei der man Hilfe braucht.«
»Ich kann dir Ideen geben.«
Er tauscht einen Blick mit Inés aus. Etwas Unausgesprochenes wird zwischen ihnen ausgetauscht.
Mein kluger Sohn!
, sagt ihr Blick.
»Das stimmt«, sagt er. »Du hast gute Ideen. Aber leider reagieren Toiletten nicht auf Ideen. Toiletten gehören nicht zum Reich der Ideen, sie sind einfach grobe Dinge, und die Arbeit mit ihnen ist nichts als grobe Arbeit. Geh also mit deiner Mutter spazieren, während ich hier weitermache.«
»Warum kann ich nicht hierbleiben?«, fragt der Junge. »Es ist nur Kacke.«
Der Junge hat einen neuen Ton drauf, einen herausfordernden Ton, der ihm nicht gefällt. Das viele Lob steigt ihm zu Kopf.
»Toiletten sind bloß Toiletten, aber Kacke ist nicht bloß Kacke«, sagt er. »Es gibt gewisse Dinge, die nicht nur sie selbst sind, nicht immer. Kacke gehört dazu.«
Inés zieht an der Hand des Jungen. Sie errötet heftig. »Komm!«, sagt sie.
Der Junge schüttelt den Kopf. »Es ist meine Kacke«, sagt er. »Ich will hierbleiben!«
»Es war deine Kacke. Aber du hast sie ausgeschieden. Du bist sie losgeworden. Sie gehört nicht mehr dir. Du hast kein Recht mehr darauf.«
Inés lässt ein Schnauben hören und zieht sich in die Küche zurück.
»Wenn die Kacke erst einmal in das Abwasserrohr kommt, gehört sie niemandem mehr«, spricht er weiter. »Im Abwassersystem vereint sie sich mit der Kacke von anderen Menschen und wird zur allgemeinen Kacke.«
»Warum ist Inés dann böse?«
Inés. Nennt er sie so: nicht
Mama
oder
Mutter
?
»Es ist ihr peinlich. Man spricht nicht gern über Kacke. Kacke stinkt. Kacke ist voller Bakterien. Kacke ist nicht
Weitere Kostenlose Bücher