Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
Toilette bereitet Probleme, seit wir eingezogen sind«, sagt sie. »Ich würde mich nicht wundern, wenn die Leute in der Wohnung darunter schuld daran wären. Ich habe dem Verwalter gesagt, er solle in der Etage unten nachsehen, aber er hat mir gar nicht zugehört. Ich hatte noch nie mit einem so unhöflichen Mann zu tun. Es macht ihm nichts aus, dass es schon bis zum Korridor stinkt.«
Inés spricht über Fäkalien ohne Scheu. Es kommt ihm seltsam vor – die Angelegenheit ist, wenn nicht intim, dann zumindest heikel. Betrachtet sie ihn einfach als Handwerker, der gekommen ist, um eine Arbeit für sie zu erledigen, einen, dem sie nie wieder zu begegnen braucht; oder schnattert sie drauflos, um ihr Unbehagen zu überspielen?
Er durchquert den Raum, öffnet das Fenster und beugt sich hinaus. Das Abflussrohr von der Toilette führt direkt in ein Abwasserrohr, das an der Hauswand hinunterführt. Drei Meter weiter unten ist das Abflussrohr von der Wohnung einen Stock tiefer.
»Haben Sie mit den Leuten in Nummer 102 gesprochen?«, fragt er. »Wenn die ganze Installation verstopft ist, dann haben sie das gleiche Problem. Aber ich will mir erst mal die Toilette ansehen, falls der Defekt gleich in die Augen fällt.« Er spricht den Jungen an. »Hilfst du mir? Wäre es nicht allmählich Zeit aufzustehen, du Faulpelz! Guck mal, wie hoch die Sonne schon am Himmel steht!«
Der Junge windet sich und schenkt ihm ein freudiges Lächeln. Sein Herz springt. Wie er dieses Kind liebt! »Komm her!«, sagt er. »Du bist doch nicht zu alt, um mir einen Kuss zu geben?«
Der Junge hüpft aus dem Bett und kommt herbeigestürzt, um ihn zu umarmen. Er atmet den kräftigen, ungewaschenen, milchigen Geruch ein. »Mir gefällt dein neuer Schlafanzug«, sagt er. »Wollen wir mal nachschauen?«
Die Toilettenschüssel ist fast bis zum Rand mit Wasser und Exkrementen gefüllt. Im mitgebrachten Werkzeugkasten befindet sich eine Rolle Draht. Er biegt das Drahtende zu einem Haken, stochert blindlings unten im Knie der Schüssel und holt ein Knäuel Toilettenpapier hoch. »Hast du ein Töpfchen?«, fragt er den Jungen. »Einen Topf für Pipi?«, fragt der Junge. Er nickt. Der Junge flitzt davon und kommt mit einem Nachttopf wieder, über den ein Tuch gebreitet ist. Kurz darauf kommt Inés hereingestürzt, schnappt sich den Topf und verschwindet ohne ein Wort.
»Bring mir eine Plastiktüte«, sagt er zum Jungen. »Sieh zu, dass sie keine Löcher hat.«
Er fischt eine ziemliche Menge Papier aus dem verstopften Rohr, aber der Wasserstand sinkt nicht. »Zieh dich an, dann gehen wir einen Stock tiefer«, sagt er zum Jungen. Und zu Inés: »Wenn in 102 niemand da ist, werde ich versuchen, die Klappe zu ebener Erde zu öffnen. Wenn die Verstopfung über diesen Punkt hinausgeht, kann ich nichts tun. Dann ist es Sache der örtlichen Verwaltung. Aber warten wir’s ab.« Er macht eine Pause. »Übrigens kann so etwas jedem passieren. Niemand ist daran schuld. Es ist einfach Pech.«
Er versucht, Inés die Sache zu erleichtern, und hofft, dass sie das bemerkt. Doch sie will ihn partout nicht ansehen. Sie ist verlegen, sie ist verärgert; mehr als das kann er nicht erraten.
Begleitet vom Jungen klopft er an der Tür von Wohnung 102 . Nach langem Warten wird ein Riegel zurückgezogen und die Tür öffnet sich einen Spalt. Im Halblicht kann er eine dunkle Gestalt ausmachen, ob Mann oder Frau erkennt er nicht.
»Guten Morgen«, sagt er. »Es tut mir leid, wenn ich störe. Ich bin aus der Wohnung einen Stock höher, wo wir eine verstopfte Toilette haben. Ich wollte wissen, ob Sie vielleicht ein ähnliches Problem haben.«
Die Tür öffnet sich weiter. Es ist eine Frau, alt und gebeugt, deren Augen von einem glasigen Grau sind, das vermuten lässt, dass sie nichts sieht.
»Guten Morgen«, wiederholt er. »Ihre Toilette. Haben Sie Probleme mit Ihrer Toilette? Irgendwelche Verstopfungen,
atascos
?«
Keine Antwort. Sie steht stocksteif, ihr Gesicht ist ihm fragend zugewandt. Ist sie sowohl taub als auch blind?
Der Junge tritt vor.
»Abuela«
, sagt er. Die Alte streckt die Hand aus, streicht ihm übers Haar, erforscht sein Gesicht. Einen Augenblick drückt er sich vertrauensvoll an sie; dann schlüpft er an ihr vorbei in die Wohnung. Einen Moment später ist er zurück. »Sie ist sauber«, sagt er. »Die Toilette ist sauber.«
»Vielen Dank, Señora«, sagt er und verbeugt sich. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Entschuldigen Sie die Störung.« Und zu dem
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