Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
wie
– das fällt ihm in dem Augenblick ein. Wie ein Fisch, der sich frei windet, während man ihn zu packen versucht. Aber nicht wie ein Fisch – nein, wie
wie ein Fisch
. Oder wie
wie wie ein Fisch
. Und immer so weiter. Dann ist der Augenblick vorüber, und er steht einfach schweigend da und starrt vor sich hin.
»Hast du es gesehen?«, fragt der Junge.
»Ich weiß nicht. Halt mal eine Minute lang an, mir ist schwindlig.«
»Ich kann sehen, was du denkst!«, sagt der Junge und lächelt triumphierend.
»Das kannst du nicht.«
»Du denkst, dass ich zaubern kann.«
»Überhaupt nicht. Du hast keine Ahnung, was ich denke. Pass jetzt auf. Ich werde jetzt etwas über die Sprache sagen, etwas Ernstes, etwas, das du dir zu Herzen nehmen sollst.
Jeder kommt als Fremder in dieses Land. Ich bin als Fremder gekommen. Du bist als Fremder gekommen. Inés und ihre Brüder waren einst Fremde. Wir kamen aus unterschiedlichen Orten und einer jeweils unterschiedlichen Vergangenheit, auf der Suche nach einem neuen Leben. Aber nun sitzen wir alle im gleichen Boot. Wir müssen deshalb miteinander auskommen. Eine der Methoden, miteinander auszukommen, ist, dieselbe Sprache zu sprechen. Das ist die Vorschrift. Es ist eine gute Vorschrift und wir sollten sie befolgen. Sie nicht nur befolgen, sondern sie freudig befolgen, nicht wie ein Maulesel, der sich stur stellt. Frohen Mutes und gutwillig. Wenn du dich weigerst, wenn du weiter ungezogen über Spanisch sprichst und darauf bestehst, deine eigene Sprache zu sprechen, dann wirst du bald in einer privaten Welt leben. Du wirst keine Freunde haben. Du wirst gemieden.«
»Was ist gemieden?«
»Du hast keinen Ort, wo du dein Haupt niederlegen kannst.«
»Ich habe sowieso keine Freunde.«
»Das wird sich ändern, wenn du erst einmal zur Schule gehst. In der Schule wirst du viele neue Freunde gewinnen. Und außerdem hast du natürlich Freunde. Fidel und Elena sind deine Freunde. Álvaro ist dein Freund.«
»Und El Rey ist mein Freund.«
»El Rey ist auch dein Freund.«
»Und Señor Daga.«
»Señor Daga ist nicht dein Freund. Señor Daga führt dich in Versuchung.«
»Was ist Versuchung?«
»Er versucht, dich von deiner Mutter wegzulocken mit Mickey Mouse und Eis. Weißt du noch, wie schlecht dir war von dem vielen Eis, was er dir an dem Tag gegeben hat?«
»Er hat mir auch Feuerwasser gegeben.«
»Was meinst du damit, Feuerwasser?«
»Das hat mir im Hals gebrannt. Er sagt, das ist Medizin, wenn es einem schlechtgeht.«
»Hat Señor Daga seine Medizin in einem silbernen Fläschchen in seiner Tasche?«
»Ja.«
»Bitte, trink nie wieder aus Señor Dagas Fläschchen, David. Es ist ja vielleicht für Erwachsene Medizin, aber für Kinder ist es nicht gut.«
Inés berichtet er das mit dem Feuerwasser nicht, aber er erzählt es Elena. »Er gewinnt Einfluss auf das Kind«, sagt er ihr. »Ich kann nicht mit ihm konkurrieren. Er trägt einen Ohrring, er hat ein Messer bei sich, er trinkt Feuerwasser. Er hat eine hübsche Freundin. Er hat Mickey Mouse zu Hause in einer Kiste. Ich habe keine Ahnung, wie ich den Jungen zur Vernunft bringen soll. Inés steht auch unter dem Einfluss des Mannes.«
»Was erwartest du denn? Sieh es von ihrer Warte aus. Sie ist in einem Alter, in dem eine Frau, die keine Kinder gehabt hat – eigene Kinder –, allmählich unruhig wird. Es ist eine Sache der Biologie. Sie ist in empfängnisbereitem Zustand, biologisch gesprochen. Es überrascht mich, dass du es nicht spürst.«
»Ich denke nicht auf diese Weise an Inés – biologisch.«
»Du denkst zuviel. Das hat nichts mit Denken zu tun.«
»Ich begreife nicht, warum Inés noch ein Kind wollen sollte, Elena. Sie hat den Jungen. Er kam als Geschenk zu ihr, aus heiterem Himmel, schlicht und einfach ein Geschenk. Ein solches Geschenk sollte für jede Frau reichen.«
»Ja, aber er ist nicht ihr leibliches Kind. Das wird sie nie vergessen. Wenn du nichts in der Sache unternimmst, wird David bald einmal Señor Daga zum Stiefvater haben, und dann eine Brut kleiner Daga-Stiefbrüder und Stiefschwestern. Oder wenn nicht Daga, dann ein anderer Mann.«
»Was willst du damit sagen, wenn ich nichts in der Sache unternehme?«
»Wenn du ihr nicht selbst ein Kind schenkst.«
»Ich? Das fiele mir nicht im Traume ein. Ich bin nicht der Vatertyp. Ich bin geschaffen, Onkel zu sein, nicht Vater. Außerdem mag Inés Männer nicht – wenigstens ist das mein Eindruck. Sie mag nicht die männliche Lautheit und
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