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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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Pfeilen auf ihn. Komm schnell!«
    Er beachtet den Jungen nicht, spricht zu Daga. »Seine Mutter ist vor Sorge außer sich. Wie konnten Sie das nur tun?«
    So nahe ist er Daga vorher noch nie gekommen. Es stellt sich heraus, dass der kühne Haarschopf mit der goldenen Lockenfülle grob und fettig ist. Das T -Shirt hat ein Loch unter der Achsel. Zu seiner Überraschung hat er keine Angst vor dem Mann.
    Daga steht nicht auf. »Immer mit der Ruhe,
viejo
«, sagt er. »Wir hatten eine schöne Zeit miteinander. Dann hat der Junge ein Schläfchen gemacht. Er hat wie ein Stein geschlafen, wie ein Engel. Jetzt sieht er das Kinderprogramm. Was schadet das?«
    Er antwortet nicht. »Komm, David!«, sagt er. »Wir gehen. Sag Señor Daga Auf Wiedersehen.«
    »Nein! Ich will Mickey Mouse ansehen!«
    »Du kannst Mickey das nächste Mal ansehen«, sagt Daga. »Versprochen. Wir werden ihn nur für dich hierbehalten.«
    »Und Plato?«
    »Und Plato. Wir können auch Plato hierbehalten, nicht wahr, Süße?«
    »Klar«, sagt das Mädchen. »Wir sperren sie in der Mäusekiste ein bis zum nächsten Mal.«
    »Komm«, sagt er zum Kind. »Deine Mutter hat sich schreckliche Sorgen gemacht.«
    »Sie ist nicht meine Mutter.«
    »Natürlich ist sie deine Mutter. Sie liebt dich sehr.«
    »Wer ist sie, junger Freund, wenn sie nicht deine Mutter ist?«, fragt Daga.
    »Sie ist einfach eine Frau. Ich habe keine Mutter.«
    »Du hast eine Mutter. Inés ist deine Mutter«, sagt er, Simón. »Gib mir deine Hand.«
    »Nein! Ich habe keine Mutter, und ich habe keinen Vater. Ich bin einfach da.«
    »Das ist Unsinn. Jeder von uns hat eine Mutter. Jeder von uns hat einen Vater.«
    »Hast du eine Mutter?«, fragt der Junge, an Daga gewandt.
    »Nein«, sagt Daga. »Ich habe auch keine Mutter.«
    »Siehst du!«, sagt der Junge triumphierend. »Ich will bei dir bleiben, ich will nicht zu Inés.«
    »Komm her«, sagt Daga. Der Junge trottet zu ihm; er setzt ihn sich aufs Knie. Der Junge schmiegt sich an seine Brust, den Daumen im Mund. »Du möchtest bei mir und Frannie wohnen, nur wir drei zusammen?« Der Junge nickt wieder. »Ist das okay für dich, Liebling – dass David zu uns kommt?«
    »Klar«, sagt das Mädchen.
    »Er ist unfähig, das zu entscheiden«, sagt er, Simón. »Er ist nur ein Kind.«
    »Sie haben recht. Er ist nur ein Kind. Es ist an seinen Eltern zu entscheiden. Aber, wie Sie gehört haben, hat er keine Eltern. Was machen wir denn da?«
    »David hat eine Mutter, die ihn so sehr liebt wie jede Mutter auf Erden. Und ich, ich bin zwar nicht sein Vater, aber er bedeutet mir viel. Er bedeutet mir viel, und ich kümmere mich um ihn und passe auf ihn auf. Er kommt mit mir.«
    Daga hört sich diese kleine Rede schweigend an und dann schenkt er ihm zu seiner Überraschung ein Lächeln, ein ziemlich gewinnendes Lächeln, das seine ausgezeichneten Zähne sehen lässt. »Das ist gut«, sagt er. »Sie bringen ihn zurück zu seiner Mutter. Sagen Sie ihr, er hatte eine schöne Zeit. Sagen Sie ihr, bei mir ist er immer sicher. Du fühlst dich doch sicher bei mir, junger Mann?«
    Der Junge nickt, den Daumen noch immer im Mund.
    »Gut, dann ist es vielleicht Zeit mit deinem Beschützer mitzugehen.« Er hebt den Jungen vom Schoß. »Komm bald wieder. Versprochen? Komm und schau dir Mickey an.«

Zweiundzwanzig
    » W arum muss ich die ganze Zeit Spanisch sprechen?«
    »Wir müssen eine Sprache sprechen, mein Junge, wenn wir nicht wie die Tiere bellen und heulen wollen. Und wenn wir eine Sprache sprechen, dann ist es das Beste, wir sprechen alle dieselbe. Ist das nicht vernünftig?«
    »Aber warum Spanisch? Ich hasse Spanisch.«
    »Du hasst Spanisch nicht. Du sprichst sehr gut Spanisch. Dein Spanisch ist besser als meins. Du bist nur eigensinnig. Welche Sprache möchtest du denn sprechen?«
    »Ich möchte meine eigene Sprache sprechen.«
    »So etwas wie eine eigene Sprache für jemanden gibt es nicht.«
    »Doch!
La la fa fa yam ying tu tu

    »Das ist nur Quatsch. Es bedeutet nichts.«
    »Es bedeutet etwas. Es bedeutet für mich etwas.«
    »Das mag ja sein, aber es bedeutet nichts für mich. Sprache muss auch für mich etwas bedeuten, nicht nur für dich, sonst gilt es nicht als Sprache.«
    Mit einer Gebärde, die er sich von Inés abgeschaut haben musste, wirft der Junge verächtlich den Kopf zurück. »
La la fa fa yam ying!
Schau mich an!«
    Er sieht dem Jungen in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er dort etwas. Er kann es nicht benennen.
Es ist

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