Die Kiste der Beziehung: Wenn Paare auspacken (Populäres Sachbuch) (German Edition)
Migrationshintergrund handelte, die in der Ecke schon öfter Passanten überfallen hatten. Meist ältere Mitbürger, fügte der freundliche Polizist noch hinzu und grinste mich an. Gut, es war nicht besonders nett von mir, in der Situation zurückzugrinsen, aber, verdammt nochmal, ich hatte mir ernsthafte Sorgen gemacht! Und wenn eine Frau sich Sorgen macht, dann reißt sie alle anderen mit in den Abgrund! Ich war zu meinem Chef gelaufen und hatte ihn um sofortige Freistellung gebeten, weil ich dachte, Rainer wäre etwas wirklich Schlimmes zugestoßen! Wenn mein Chef Rainer in den nächsten Tagen zufällig träfe, mit dem winzigen Pflaster! Die Witze könnte ich mir im Büro noch hundert Jahre lang anhören …
Auf dem Heimweg entschuldigte ich mich bei Rainer. Nicht für den Teil mit den spitzen Kommentaren, die sollte er inzwischen von mir gewohnt sein, er selbst teilt ja auch gerne aus. Aber der Überfall selbst, erklärte ich ihm so einfühlsam wie möglich, der tat mir leid. Ich sagte ihm, dass ich nur so sparsam reagiert hätte, weil ich nach seiner Geschichte am Telefon tatsächlich davon ausgegangen war, dass mein armer geliebter Freund dauerhaft bleibende Schäden davontragen würde, womöglich sogar am Kopf, und dass ich danach im Grunde einfach nur froh war, dass dem nicht so war. Natürlich hatte ich vollstes Verständnis, dass er nach so einem Erlebnis erschrocken war und –
»Erschrocken …?!«
Keine Ahnung, was ich jetzt schon wieder falsch gemacht hatte.
»Erschrocken!? Sag mal wofür hältst du mich, für zehn?! Wenn man überfallen und ausgeraubt wird, dann ist man nicht erschrocken , es sei denn, man ist ein kleines Mädchen!« Rainer war echt schlimmer in seiner männlichen Ehre gekränkt, als ich gedacht hatte. Mir war ja gar nicht bewusst gewesen, wie viel männliche Ehre ein Mann wie Rainer überhaupt zu besitzen glaubt. Er schlug sogar bemüht männlich mit der Faust auf die Wand hinter mir ein. Das war wirklich ein Alarmsignal.
Ein Mann, der davon ausgeht, dass seine Freundin ihn für einen Waschlappen hält, bleibt nicht mehr lange bei ihr, so viel war mir klar. Ich brauchte eine verdammt gute Idee und eine verdammt überzeugende Argumentation, wenn ich das alles wieder geradebiegen wollte, was ich eben zerstört hatte.
Ich blieb mitten auf der Straße stehen und fing an zu weinen. Rainer sah fast noch erschrockener aus als nach dem »Überfall«. Ich stürzte mich in seine starken Arme und schluchzte mit bebender Stimme: »Wei-heißt du ei-heigentlich, was ich du-hurchgemacht habe, als du mich angerufen ha-hast …? Hast du auch nur den Ha-hauch einer Vorstellung, wie beschi-hissen scheiße ich mich gefühlt ha-abe, weil ich dachte, du würdest … du wü-hürdest … sterben …?!«
Das war ein paar Nummern zu dick, ja, aber es ging hier um meine Beziehung. Und: Wenn Männer etwas glauben wollen , dann glauben sie es auch. Da war Rainer zum Glück keine Ausnahme. Er nahm mich ganz fest in den Arm, drückte mich an sich und murmelte beruhigend: »Shhhshhh … ist doch alles gut, ist ja gar nichts passiert … hey Süße … die Leute gucken schon … alles gut … wirklich … hey, ich kann schon fast wieder tanzen …«
Er zeigte mir unbeholfen und total süß, wie er fast schon wieder tanzen konnte, und ich musste unter all den Tränen schon wieder ein bisschen lachen. Die waren inzwischen gar nicht mal mehr gespielt; als mir bewusst wurde, dass ich wegen vier blöder Bemerkungen meine Beziehung aufs Spiel gesetzt hatte, kamen die ganz von alleine. Ich schniefte noch ein wenig vor mich hin, und wir gingen Arm in Arm nach Hause. Kurz vor der Haustür murmelte ich ihm noch mal in den Haaransatz, dass ich wirklich sehr froh bin, dass er noch da ist. Und das meinte ich wortwörtlich.
Rainer lächelte und kündigte an, dass er mich jetzt erst mal auf die Couch packen und mir einen Tee kochen würde. Ich sähe ja aus wie frisch überfallen.
Ist dir schon mal aufgefallen, dass wir hauptsächlich Sachen in die Kiste getan haben, die an Streit erinnern?
Das ist ja das Spannendste. In den Geschichtsbüchern werden auch immer nur die Kriege festgehalten. Der Dreißigjährige Frieden? Nie gehört. »Alle Untertanen waren hochzufrieden, lobten den König und zahlten gerne Steuern«, das steht nirgends. Nur Kriege, Revolutionen, Morde und Attentate.
Ich verstehe. Bin ich in deiner Geschichtsschreibung unserer Beziehung eigentlich das Volk und du der König, oder wie?
Das war
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