Die Klassefrau
um ihn getrauert habe. Ich glaube, meine Wut über seine typisch männliche Weigerung zu glauben, dass eine Frau übersinnliche Wahrnehmungen besitzen kann, hat mir geholfen, all das zu überleben. Beweise mir, dass du klüger bist als Carlo, Drake. Rette dich, solange du es noch kannst.«
»Wie meinst du das?«, fragte Peter und stellte seine Teetasse auf dem Kaminsims ab. »Glaubst du, dass ein Fluch auf dir lastet? Dass du eine Art Kassandra bist, die nur Unglück vorhersagt?«
»O nein, nichts so Grandioses. Aber aus irgendeinem Grund ist jeder Mensch in meinem Leben, der mir am Herzen lag, gestorben. Pass auf dich auf«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Deine Chancen stehen nicht besonders gut.«
»Das Risiko nehme ich auf mich.«
»Ich würde es nicht tun.«
»Vielleicht solltest du deine gesellschaftlichen Kreise etwas erweitern, dann stünden die Chancen wieder besser für dich«, sagte Peter und setzte sich in den bequemen, weichen Sessel ihr gegenüber.
»Ich war auf genug Beerdigungen, vielen Dank.«
Peter stützte die Ellbogen auf seine Oberschenkel, legte das Kinn in seine Hände und sah andächtig zu, wie sie sich noch etwas auf ihren Teller häufte, wie elegant sie mit den Stäbchen hantierte und sich eine Garnele einverleibte. Ihre scheinbar unbeteiligte Aufzählung all der Todesfälle und Unglücke, die ihr Leben zerstört hatten, war ein echtes Meisterstück. Man hätte glauben können, dass sie im Moment nichts mehr interessierte als die köstliche Mahlzeit auf ihrem Teller.
Aber trotz der undurchdringlichen Mauer, die sie im Laufe der Jahre um sich errichtet hatte, spürte er den tiefen Schmerz in ihrem Herzen, ein Schmerz, der sie in ihren Grundfesten erschütterte und der sich ihm von Zeit zu Zeit zeigte. Die Götter waren weniger launenhaft, als er gedacht hatte. Sadistisch traf es wahrscheinlich wesentlich besser.
Wieso hätten sie sonst auf die Idee kommen können, eine Frau, die schon viel zu viel vom Tod gesehen hatte, mit einem Mann zusammenbringen zu wollen, dessen Job ihn zwang, sich tagtäglich mit dem Tod zu beschäftigen, ja, der sogar seine Brötchen damit verdiente? Hatte er das Recht, ihren Schmerz noch zu vergrößern, das Gewicht, das auf ihr lastete, noch zu verstärken?
Die Antwort lautete Nein. Er hatte sich unbesonnen auf die Suche nach einer Ehefrau gemacht und ausschließlich daran gedacht, was er wollte, was er erwartete, und keinen Gedanken daran verschwendet, dass er ein anderes, verletzliches menschliches Leben beeinflussen würde. Tja, aber jetzt tat er es. Mallory hatte sich von Anfang an mit Zähnen und Klauen gegen ihn gewehrt. Er hatte sich gefragt, warum, aber er hatte nie mit dieser Antwort gerechnet. Sie kämpfte um ihr Leben. So sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte und seine Küsse genoss, riss sie all das entzwei.
Er allein war der Grund für diese Zerrissenheit und dazu hatte er einfach nicht das Recht. Wie tief die Verbindung zwischen ihren Seelen auch sein mochte, wie sehr sich sein Herz auch nach ihr sehnte, Peter hatte weiß Gott nicht die Absicht, Mallory Atkinson das Herz zu brechen oder ihr das Leben schwer zu machen.
Es gab nur eine Alternative: Schluss zu machen, bevor er ernsthaften Schaden anrichtete. Als Mallory also einen weiteren Anlauf unternahm, ihn loszuwerden, erlebte sie zu ihrer Überraschung – und seinem Kummer – , dass er ihrer Aufforderung tatsächlich folgte. Er ging.
6
Seit zwei – wachssend frustrierenden – Tagen hatte Mallory Peter Drake nicht gesehen, außer in ihren Träumen, die zunehmend erotisch wurden. Tagsüber dachte sie unentwegt an ihn, und nachts träumte sie von ihm. Sie war drauf und dran, den Verstand zu verlieren.
Sie wollte nicht an ihn denken! Und von ihm träumen wollte sie erst recht nicht. Er hatte ihre Mauern respektiert und war aus ihrem Leben verschwunden. Wieso verschwand er nicht auch aus ihrem Kopf?
Das Problem war, dass Mallory wusste, wie sie ihn aus ihrem Kopf verbannen konnte, hatte es nur noch nicht über sich gebracht, es tatsächlich zu tun. Sie vermied es wohlweislich, sich die Frage nach dem Warum zu stellen.
Die beste Methode, Peter Drake aus ihren Gedanken zu verbannen, war die Meditation. Nachdem sie als junges Mädchen die Tatsache akzeptiert hatte, dass sie übersinnliche Wahrnehmungen besaß, und nachdem ihre Eltern unter all den Scharlatanen eine gute Lehrerin für sie gefunden hatten, die sie den Umgang mit ihren medialen Fähigkeiten lehrte, hatte
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