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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ich überall sein könnt’. Bring mir etwas Wein –oder Wasser, wenn du hier keinen Wein hast – und verriegle die Tür.
    V ERTRAUTER : Wir haben nur Rotwein, und die Tür kann ich schlecht verriegeln, weil ich meinen Meister zurückerwarte.
    A UTARCH (heftiger): Tu, was ich sage!
    V ERTRAUTER (sehr sachte): Du bist trunken, Freund. Verschwinde!
    A UTARCH : Ich bin – was macht es schon? Das Ende ist gekommen. Ich bin ein Mann, weder besser noch schlechter als du.
    N ODS schwere Schritte sind von weitem zu hören.
    V ERTRAUTER : ’ S ist ihm nicht gelungen – ich weiß es!
    M ESCHIANE : O doch! Mit leeren Händen würde er nicht so rasch wiederkommen. Noch ist die Welt zu retten!
    A UTARCH : Was soll das heißen?
    N OD tritt auf. Der Wahnsinn, um den er gebetet hat, ist über ihn gekommen, aber er zieht J AHI hinter sich her. Der V ERTRAUTE läuft mit Schellen vor.
    M ESCHIANE : Man muß sie festhalten, oder sie wird wieder entwischen.
    Der V ERTRAUTE legt Ketten um N OD und läßt die Schlösser zuschnappen. Einen Arm von N OD fesselt er so über seinen Leib, daß er J AHI hält. Er packt sie fester.
    V ERTRAUTER : Er bringt sie um! Laß los, du Trottel!
    Der V ERTRAUTE schnappt sich die Stange, mit der er die Streckbank gedehnt hatte, und bearbeitet N OD damit. N OD brüllt, versucht ihn zu erwischen und läßt die bewußtlose J AHI ZU Boden gleiten. Der V ERTRAUTE zieht sie am Fuß dorthin, wo der AuTARCH sitzt.
    V ERTRAUTER : Hier, du kommst mir gerade recht.
    Er zerrt den A UTARCHEN hoch und fesselt ihn rasch so, daß seine Hand J AHIS Handgelenk umklammert; dann wendet er sich wieder der Folterung von M ESCHIANE ZU. Unbemerkt befreit sich hinter ihm N OD von seinen Ketten.
     

 
XXV
 
Angriff auf die Hierodulen
     
    Obschon wir im Freien waren, wo sich jedes Geräusch so leicht in der Weite des Himmels verliert, konnte ich das Rasseln der Ketten hören, als Baldanders augenscheinlich mit seinen Fesseln rang. Im Publikum unterhielt man sich, und diese Gespräche konnte ich ebenfalls hören – eins drehte sich um das Schauspiel, dem Aussagen unterstellt wurden, die ich nie entdeckt und die Dr. Talos bestimmt nicht beabsichtigt hatte; ein anderes um einen Rechtsstreit, den der Autarch, wie der Sprecher im schleppenden Tonfall eines Beglückten versicherte, falsch beurteilen werde. Während ich die Winde der Streckbank drehte und der Sperrhaken ordentlich klappernd ausklinkte, riskierte ich einen Seitenblick auf diejenigen, die uns zusahen.
    Nicht mehr als zehn Sessel waren besetzt, denn die großen Gestalten standen neben den Sitzplätzen oder dahinter. Darunter befanden sich einige Frauen in höfischen Gewändern, wie ich ihnen auch im Azurnen Haus begegnet war; Gewändern mit sehr tiefen Ausschnitten und bauschigen Röcken, die oft geschlitzt oder mit Spitzeneinsätzen versehen waren. Die Frisuren waren einfach, aber mit Blumen, Juwelen oder glühenden Larven geschmückt.
    Das Publikum setzte sich größtenteils aus Männern zusammen, von denen immer neue hinzukamen. Viele waren so groß wie oder größer als Vodalus. Sie standen in ihre Mäntel gehüllt, als fröstelten sie in der milden Frühlingsluft. Flache, breitkrempige Petasen warfen Schatten über ihre Gesichter.
    Mit Getöse fielen Baldanders Ketten ab. Dorcas kreischte, um mir anzuzeigen, daß er frei wäre, woraufhin ich mich ihm zuwandte. Zurückweichend zerrte ich die erste Fackel aus dem Halter und wehrte ihn damit ab. Sie tropfte, wenn das Öl im Behälter die Flamme fast erstickte, und flackerte zu neuem Leben auf, wenn der Schwefel und die Mineralsalze, die Dr. Talos um den Rand geklebt hatte, sich entzündeten.
    Der Riese stellte sich verrückt, wie es seine Rolle verlangte. Das borstige Haar hing ihm vor die Augen, die hinter diesen Strähnen so wild funkelten, daß ich sie dennoch sehen konnte. Das Kinn hing schlaff herab, er geiferte aus dem Mund und bleckte die gelben Zähne. Doppelt so lange Arme wie die meinen griffen nach mir.
    Was mich in Angst versetzt hat – und ich habe, wie ich gestehe, Angst gehabt und von Herzen gewünscht, anstelle der eisernen Fackel Terminus Est in den Händen zu halten –ist seine Miene gewesen, die ich nur als Ausdruck hinter dem fehlenden Ausdruck seines Gesichts bezeichnen kann. Sie war da wie das schwarze Wasser, das man manchmal unter der Eisdecke eines gefrorenen Flusses erspäht. Bald-anders hatte nun ein grimmiges Gefallen daran gefunden, das zu sein, was er war; und als ich ihm so

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