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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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würden auf den Gedanken kommen, daß ein Diener des Autarchen sich einem solchen Unternehmen anschlösse. Ich fügte die Rolle des Vertrauten ein, um dich besser zu verbergen, indem deine Tracht eine Daseinsberechtigung erhielte.«
    »Ich weiß von alledem nichts«, versetzte ich.
    »Natürlich. Ich will dich keinesfalls zu einem Vertrauensbruch zwingen. Aber als wir gestern unsere Bühne aufbauten, kam ein hoher Hofbeamter des Hauses Absolut – ein Agamit, glaube ich, und solche stehen dem Ohr der Macht stets nahe – und erkundigte sich, ob wir die Truppe seien, in der du auftretest, und ob du zu sprechen seist. Du und Jolenta hattet euch gerade entfernt, aber ich bejahte seine Frage. Sodann wollte er wissen, wie hoch dein Anteil an unseren Einnahmen sei, und nachdem ich ihm das erläutert hatte, erklärte er, er sei angewiesen, uns für die nächtliche Aufführung zu bezahlen. Ein großes Glück, wie sich herausstellte, da dieser Trottel aufs Publikum losging.«
    Das war einer der wenigen Anlässe, wo ich erlebte, daß Baldanders sich durch die Sticheleien seines Arztes gekränkt fühlte. Obschon es ihm eindeutig große Schmerzen bereitete, rutschte er mit seinem mächtigen Leib herum, bis er uns den Rücken zukehrte.
    Dorcas hatte mir gesagt, daß ich allein gewesen sei, als wir in Dr. Talos’ Zelt schliefen. Nun fühlte ich, daß dem Riesen so zumute war; daß für ihn die Lichtung nur ihn und bestimmtes Getier barg, welches er bald müde wurde.
    »Er hat für seine Hitzköpfigkeit gebüßt«, sagte ich. »Seine Verbrennungen sehen schlimm aus.«
    Der Doktor nickte. »Ja, Baldanders hatte Glück. Die Hierodulen stellten ihre Strahlen klein, um ihn lediglich zurückzutreiben und nicht umzubringen. Er verdankt sein Leben ihrer Nachsicht und wird sich regenerieren.«
    Dorcas murmelte: »Gesund werden, meinst du? Glaub’ ich auch. Er dauert mich mehr, als ich ausdrücken kann.«
    »Du hast ein gütiges Herz. Zu gütig, vielleicht. Aber Baldanders ist noch im Wachstum, und Kinder im Wachstum kommen schnell wieder auf die Beine.«
    »Im Wachstum?« fragte ich. »Sein Haar ist zum Teil schon grau.«
    Der Doktor lächelte. »Dann wird er halt einfach nur noch grauer. Aber nun, liebe Freunde«, er stand auf und klopfte den Staub von seinen Hosen, »nun sind wir, wie ein Dichter treffend sagt, am Scheideweg angekommen, der unsere Geschicke trennt. Wir haben hier Rast gemacht, Severian, nicht nur weil wir müde gewesen sind, sondern weil der eine Weg nach Thrax, deinem Ziel, führt, der andre aber zum See Diaturna, unsrer Heimat. Nur ungern hätte ich diese Stelle, die letzte Möglichkeit, dir zu begegnen, passiert, ohne unseren Gewinn gerecht zu teilen – aber das ist nun getan. Solltest du wieder mit deinem Wohltäter im Haus Absolut in Verbindung treten, würdest du dann einräumen, daß du deinen rechtmäßigen Anteil erhalten hast?«
    Der Stoß Chrysos lag noch vor mir auf dem Boden. »Das ist hundertmal mehr, als ich mir erträumt hätte«, erwiderte ich. »Ja, gewiß.« Ich las die Münzen auf und verstaute sie in meiner Gürteltasche.
    Dorcas und Jolenta tauschten Blicke aus, und Dorcas erklärte: »Ich geh’ mit Severian nach Thrax, wenn Severian dorthin geht.«
    Jolenta hielt dem Doktor die Hand hin, als sollte er ihr beim Aufstehen helfen.
    »Baldanders und ich ziehen allein weiter«, sagte er, »und werden die ganze Nacht marschieren. Wir werden euch alle vermissen, aber die Zeit der Trennung ist genaht. Dorcas, mein Kind, ich bin entzückt, daß du einen Beschützer hast.« (Jolentas Hand ruhte inzwischen auf seinem Oberschenkel.) »Komm, Baldanders, wir müssen aufbrechen!«
    Der Riese raffte sich von der Erde auf, was ihm, wie zu sehen war, große Pein bereitete, auch wenn er keinen Seufzer tat. Seine Binden waren feucht von Schweiß und Blut. Ich wußte, was ich zu tun hatte, und sagte: »Baldanders und ich müssen kurz unter vier Augen miteinander sprechen. Darf ich euch also bitten, euch an die hundert Schritte zu entfernen?«
    Die Damen setzten sich in Bewegung, wobei Dorcas über den einen und Jolenta (der Dorcas beim Aufstehen geholfen hatte) über den anderen Weg davongingen; Dr. Talos allerdings blieb, wo er war, bis ich meine Bitte wiederholte.
    »Du willst, daß auch ich gehe? Das ist recht sinnlos. Baldanders wird mir alles sagen, was du ihm gesagt hast, sobald wir wieder beisammen sind. Jolenta! Komm her, Liebste!«
    »Sie leistet nur meiner Bitte Folge, sich ein wenig zu

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