Die Klaue des Schlichters
entfernen.«
»Ja, aber sie geht in die falsche Richtung, und das kann ich nicht dulden. Jolenta!«
»Doktor, ich will deinem Freund – oder deinem Sklaven oder was immer er ist – nur helfen.«
Was für eine Überraschung, als unter dem Turban aus Verbänden Baldanders tiefe Stimme ertönte: »Ich bin sein Herr!«
»Ganz genau«, sagte der Doktor, während er den Haufen Chrysos, den er Baldanders zugeschoben hatte, in die Hosentasche des Riesen steckte.
Jolenta humpelte zu uns zurück. Tränen rannen über ihr liebliches Antlitz. »Kann ich nicht mit euch gehen, Doktor?«
»Natürlich nicht«, entgegnete er so selbstverständlich, als hätte ein Kind um ein zweites Stück Kuchen gebeten. Jolenta brach vor seinen Füßen zusammen.
Ich sah zum Riesen auf. »Baldanders, ich kann dir helfen. Ein Freund von mir hatte sich viel, viel schlimmer als du verbrannt, und ich konnte ihm helfen. Aber ich will’s nicht tun, wenn Dr. Talos und Jolenta zusehn. Gehen wir doch –nur ein kleines Stück weit – zurück auf dem Weg zum Haus Absolut.«
Bedächtig drehte der Riese den Kopf hin und her.
»Er weiß, was für eine Linderung du ihm anbietest«, sagte Dr. Talos lachend. »Er selbst hat sie so vielen zuteil werden lassen, aber er hängt zu sehr am Leben.«
»Ich biete ihm Leben – nicht den Tod.«
»Ja?« Der Doktor zog eine Augenbraue nach oben. »Wo ist deine Freundin?«
Der Riese hatte die Griffe seines Karrens in die Hand genommen. »Baldanders«, sagte ich, »weißt du, wer der Schlichter gewesen ist?«
»Das ist so lange her«, antwortete Baldanders, »es spielt keine Rolle mehr.« Er ging los in die Richtung, die Dorcas nicht eingeschlagen hatte. Dr. Talos folgte ihm ein paar Schritte, und als Jolenta nicht von seinem Arm lassen wollte, blieb er stehen.
»Severian, du hast, wie du erzählt hast, schon eine stattliche Anzahl von Gefangenen bewacht. Wenn Baldanders dir noch einen Chrysos gibt, würdest du dann dieses Geschöpf festhalten, bis wir einen ordentlichen Vorsprung haben?«
Ich war noch zutiefst enttäuscht, dem leidenden Baldanders nicht helfen zu können, überwand mich aber zur Bemerkung: »Als Mitglied der Zunft darf ich nur von der rechtmäßigen Obrigkeit Lohn annehmen.«
»Dann bringen wir sie einfach um, sind wir erst außer Sicht.«
»Das ist eine Sache zwischen euch und ihr«, versetzte ich und eilte hinter Dorcas her.
Kaum hatte ich sie eingeholt, vernahmen wir Jolentas gellende Schreie. Dorcas hielt inne und drückte meinen Arm fester, als sie fragte, was das gewesen war; ich erzählte ihr von der Drohung des Doktors.
»Und du hast sie allein gelassen?«
»Ich habe nicht geglaubt, daß es sein Ernst gewesen ist.«
Während ich das sagte, hatten wir kehrt gemacht und gingen wieder zurück. Als wir noch keine zehn Schritt zurückgelegt hatten, wurde das Geschrei von einer so tiefen Stille abgelöst, daß wir das Rascheln eines fallenden Blattes hören konnten. Wir fingen zu laufen an; als wir die Kreuzung erreichten, war ich mir sicher, daß wir zu spät kämen, und eilte, um bei der Wahrheit zu bleiben, nur weiter, weil ich wußte, Dorcas wäre andernfalls von mir enttäuscht.
Es war ein Trugschluß, Jolenta für tot zu halten. Als wir um eine Wegbiegung kamen, sah ich, daß sie uns entgegenrannte – die Knie zusammengekniffen, als hemmten die üppigen Oberschenkel die Beine in der Bewegung, die Arme über den Brüsten gekreuzt, um sie zu stützen. Ihr prächtiges rotgoldenes Haar hing ihr über die Augen, und das feine Organzahemd war zerfetzt. Als sie sich in Dorcas’ Arme warf, fiel sie in Ohnmacht. »Diese Teufel haben sie geschlagen«, empörte sich Dorcas.
»Noch vor einem Augenblick befürchteten wir, sie würden sie umbringen.« Ich sah mir die Striemen auf dem wunderschönen Rücken dieser Dame an. »Rühren wohl vom Stock des Doktors her. Sie hat Glück, daß er nicht Baldanders auf sie angesetzt hat.«
»Was können wir denn tun?«
»Probieren wir das.« Ich angelte die Klaue aus meinem Stiefelschaft. »Erinnerst du dich an das Ding, das wir in meiner Gürteltasche gefunden haben? Das deiner Meinung nach kein richtiger Edelstein gewesen ist? Es ist das hier gewesen und kann offenbar manchmal Verletzungen heilen. Ich wollte es bei Baldanders versuchen, aber er ließ mich nicht.«
Ich hielt die Klaue über Jolentas Haupt und führte sie entlang der Striemen auf ihrem Rücken, aber das Licht wurde weder heller, noch schien es Jolenta besser zu
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