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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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weitersagen darfst. Diese Mine ist eine Schatzkammer des Autarchen, wo Unsummen von Münzgeld, Gold, Silber und Juwelen lagern für den Fall, daß er eines Tages von seinem Phönixthron vertrieben wird. Bewacht wird er von besonderen Gefolgsleuten des Vater Inire, aber Du brauchst diese nicht zu fürchten. Sie haben Weisung, mir zu gehorchen, und ich habe ihnen von Dir erzählt und ihnen befohlen, Dich uneingeschränkt passieren zu lassen. Nach dem Betreten der Mine folge dem Wasserlauf, bis Du das Ende erreichst, wo er aus dem Fels entspringt. Hier wartet und schreibt in der Hoffnung auf Vergebung Deine
    Thecla
     
    Es wogte in mir vor unsagbarer Freude beim Lesen und Wiederlesen dieses Briefes. Als Jonas mein Gesicht sah, sprang er zuerst auf – er dachte wohl, ich würde auf der Stelle in Ohnmacht fallen – dann wich er zurück wie vor einem Irrsinnigen. Als ich schließlich den Brief zusammenfaltete und in meine Gürteltasche steckte, stellte er keine Fragen (denn Jonas war ein wahrer Freund), sondern zeigte mit seinem Blick, daß er mir bereitwillig helfen wolle.
    »Ich brauche dein Reittier«, sagte ich. »Kann ich’s haben?«
    »Gern. Aber …«
    Ich war bereits mit dem Türriegel zugange. »Du kannst nicht mitkommen. Wenn alles klappt, seh’ ich zu, daß es dir zurückgebracht wird.«
    Als ich über die Treppe in den Hof des Wirtshauses eilte, hörte ich in Gedanken den Wortlaut des Briefes in Theclas eigener Stimme; als ich den Stall erreichte, war ich fürwahr von Sinnen. Ich blickte mich nach Jonas’ Merychippus um, sah statt dessen vor mir aber einen mächtigen Renner, dessen Rücken höher als meine Augen war. Ich hatte keine Ahnung, wer damit in dieses friedvolle Dorf geritten war, und überlegte nicht lange. Kurzentschlossen schwang ich mich hinauf, zückte Terminus Est und durchtrennte mit einem Streich die Zügel, womit er angehalftert war.
    Ich habe nie ein besseres Reittier erlebt. Mit einem Satz war er aus dem Stall, mit zwei auf der Dorfstraße. Zuerst befürchtete ich, er würde über eine der Zeltschnüre straucheln, doch war er trittsicher wie ein Tänzer. Die Straße verlief ostwärts zum Fluß hin; sobald wir die Häuser hinter uns gelassen hatten, drängte ich ihn nach links. Er übersprang eine Mauer, wie ein Knabe über einen Stock hüpft, und schließlich flogen wir im vollen Galopp über eine Weide, wo im fahlen Mondschein Stiere ihre Hörner hoben.
    Nun bin ich kein großer Reitersmann und war’s damals noch weniger. Auf einem minderen Tier wäre ich wohl schon in der ersten halben Meile aus dem hohen Sattel gepurzelt; mein gestohlener Renner indes bewegte sich trotz des rasanten Tempos sanft wie ein Schatten. Und wie ein Schatten müssen wir ausgesehen haben – er mit seinem nachtschwarzen Fell, ich mit meinem rußschwarzen Mantel. Er hatte nichts von seiner Geschwindigkeit verloren, bevor wir durch den Bach, von dem im Brief die Rede war, platschten. Dort brachte ich ihn zum Anhalten – teils indem ich an seinem Halfter zog, teils und hauptsächlich durch Worte, auf die er hörte wie ein Bruder. Entlang des Baches gab es keine Wege, und wir waren ihm erst ein kurzes Stück weit gefolgt, als Bäume beide Ufer säumten. Also lenkte ich ihn in den Bach (obschon ihm das nicht behagte), wo wir Stromschnellen überwanden, wie man eine Treppe besteigt, und tiefe Stellen durchschwammen.
    Mehr als eine Wache lang durchwateten wir diesen Wasserlauf inmitten eines Waldes gleich jenem, den Jonas und ich nach der Trennung von Dorcas, Dr. Talos und den übrigen am Erbärmlichen Tor durchwandert hatten. Dann wurden die Ufer höher und zerklüfteter, die Bäume niedriger und verkrüppelt. Steine hemmten den Strom; ihre eckige Form verriet, daß sie Menschenwerk und wir in der Gegend der Erzgruben mit dem Trümmerfeld einer großen Stadt darunter waren. Unser Weg wurde steiler, und trotz allen Eifers zauderte der Renner zuweilen an glitschigen Stellen, so daß ich absteigen und ihn führen mußte. Auf diese Weise zogen wir durch verschiedene, kleine, verträumte Höhlungen im Dunkel der hohen Ufer, worin hie und da fahles Mondlicht ausgebreitet lag und worin das Geplätscher des Wassers widerhallte – aber kein Laut sonst, denn im übrigen herrschte vollkommene Stille.
    Zuletzt drangen wir in ein Tal vor, das kleiner und schmaler als alle anderen war; an seinem Ende, eine Kette oder so entfernt, wo der Mond einen Steilhang beschien, entdeckte ich eine dunkle Öffnung. Darin hatte der Bach,

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