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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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der wie Speichel von den Lippen eines versteinerten Titanen hervorsprudelte, seinen Ursprung. Neben dem Wasser fand ich ein Stück einigermaßen flachen Bodens, auf dem mein Reittier rasten konnte. Mit einiger Mühe vermochte ich es dort anzubinden, indem ich die Zügelreste um ein verkümmertes Bäumchen knüpfte.
    Sicherlich hatte einst ein Holzgerüst zum Mineneingang hinaufgeführt, aber es war längst verfault und vermodert. Obschon der Aufstieg im Mondschein unmöglich schien, fand ich Halt in dem alten Gestein und erklomm die Wand neben dem herabschießenden Wasserstrahl.
    Kaum hatte ich die Hände in der Öffnung, hörte ich –oder glaubte zu hören – ein Geräusch aus dem Tal hinter mir. Ich hielt inne und wandte mich zurückschauend um. Das Getöse des Wasserfalls hätte jeden Laut erstickt, der nicht so stimmgewaltig wie ein Signalhorn oder durchschlagend wie eine Explosion gewesen wäre, und es hatte auch diesen erstickt, obwohl ich etwas gewahrt hatte, das sich vielleicht anhörte wie polterndes Gestein oder etwas ins Wasser Plumpsendes.
    Das Tal lag anscheinend friedlich und still unter mir. Dann bemerkte ich, wie mein Renner sich umstellte, wobei sein stolzer Kopf und die nach vorne gerichteten Ohren für einen Augenblick ins Licht tauchten. Ich kam zu dem Schluß, was ich gehört hatte, war lediglich das Klappern seiner eisenbeschlagenen Hufe gewesen, denn er stampfte widerspenstig mit den Füßen, weil er so eng angebunden war. Ich stemmte mich vollends in den Mineneingang und rettete mir damit, wie sich herausstellen sollte, das Leben.
    Ein einigermaßen besonnener Mensch, der wie ich in dem Wissen, einen solchen Ort betreten zu müssen, ausgezogen wäre, hätte eine Laterne und Kerzen in ausreichender Menge mitgebracht. Daß Thecla noch lebe, hatte mich jedoch mit solcher Tollheit erfüllt, daß ich mit leeren Händen aufgebrochen war. Somit kroch ich in die Dunkelheit hinein, und ich hatte noch keine zwölf Schritte zurückgelegt, als das Mondlicht des Tales hinter mir erlosch. Mit den Stiefeln watete ich durch den Wasserlauf wie draußen, als ich den Renner stromaufwärts geführt hatte. Terminus Est baumelte von meiner linken Schulter, doch war ich ohne Sorge, daß die Spitze der Scheide im Wasser naß würde, denn die Decke des Stollens war so niedrig, daß ich tief geduckt gehen mußte. So schritt ich eine ganze Weile voran, von der ständigen Furcht geplagt, ich sei falsch gegangen und Thecla warte auf mich woanders und würde umsonst warten.
     

 
VI
 
Blaues Licht
     
    Ich gewöhnte mich so an das Rauschen des eisigen Wassers, daß ich, wäre ich gefragt worden, behauptet hätte, es herrschte Stille; aber dem war nicht so, was mir sofort auffiel, als der enge Stollen in eine große, ebenso finstere Kammer mündete, wo das Murmeln des Baches anders klang. Ich tat noch einen Schritt, dann noch einen und hob den Kopf. Über mir war kein kantiges Gestein mehr, woran ich ihn mir hätte anschlagen können. Ich streckte die Arme empor. Nichts. Ich nahm Terminus Est am Heft aus Onyx und schwang die Klinge, die noch in der schützenden Scheide steckte. Immer noch nichts.
    Dann tat ich etwas, das ihr, die ihr diesen Bericht lest, sicherlich für töricht halten werdet, obschon ihr bedenken müßt, daß ich in dem Wissen gehandelt habe, die angeblichen Wächter dieser Mine seien von meiner Ankunft in Kenntnis gesetzt und angewiesen, mir kein Haar zu krümmen. Ich rief Theclas Namen.
    Und das Echo antwortete: »Thecla … Thecla … Thecla …«
    Dann herrschte wieder Stille.
    Mir fiel ein, daß ich dem Wasserlauf bis zu seiner Quelle im Gestein folgen sollte, was ich noch nicht getan hatte. Vielleicht sickerte es hier durch ebenso viele Gänge unter dem Berg wie draußen durch Schluchten. Ich ging also weiter und tastete mich Schritt für Schritt vorwärts, von der Furcht gehemmt, daß ich schon beim nächsten Schritt ins Leere treten würde.
    Ich hatte noch keine fünf zurückgelegt, als ich neben dem Plätschern des nun ruhig fließenden Wassers von weit her, dennoch deutlich, etwas hörte. Ich war keine weiteren fünf vorangekommen, als ich Licht sah.
    Es war weder der smaragdgrüne Widerschein der legendären Wälder des Mondes noch ein solches Licht, wie Wächter es trügen – die rote Flamme einer Fackel, der goldene Schein einer Kerze, nicht einmal der grelle Kegel, den ich zuweilen nachts gesehen hatte, wenn die Flieger des Autarchen über die Zitadelle brausten. Vielmehr war es ein

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