Die Klaue des Schlichters
zu jung.«
»Hoffentlich nicht wieder ’ne Lesbische.«
»Hoff ich nicht …«
Die Stimme brach ab; vielleicht hatte ich auch nur aufgehört, ihr Gehör zu schenken. Ich hatte einen Lichterglanz zwischen den Bäumen gesehen.
Nach ein paar weiteren Schritten entdeckte ich Fackeln und vernahm Stimmen. Jemand vor uns forderte uns zum Stehenbleiben auf, und der Waffenträger ging voraus und nannte flugs die Losung.
Bald fand ich mich auf dem weichen Waldboden sitzend wieder, zwischen Jonas zu meiner Rechten und einem niedrigen Holzstuhl zu meiner Linken. Der Waffenträger hatte sich rechts von Jonas niedergelassen, und die übrigen Anwesenden hatten (fast wie wenn sie auf unsere Ankunft gewartet hätten) einen Kreis gebildet, dessen Mitte eine rauchige orangefarbene Laterne darstellte, die von einem Baum hing.
Nicht mehr als ein Drittel der Audienzbesucher auf der Lichtung war hier versammelt, aber aus den Kleidern und Waffen schloß ich, daß es sich hauptsächlich um hochgestellte Persönlichkeiten und daneben um einige Vertreter begünstigter Stammtruppen handelte. Es kamen vier bis fünf Männer auf jede Frau; aber die Frauen wirkten ebenso kriegerisch wie die Männer und mindestens so begierig auf den Festbeginn.
Wir hatten eine Weile gewartet, als Vodalus bühnengerecht aus der Dunkelheit auftauchte und den Kreis betrat. Alle Anwesenden erhoben sich und ließen sich wieder nieder, nachdem er auf dem Holzstuhl neben mir Platz genommen hatte.
Fast augenblicklich erschien ein Mann in der Livree eines höheren Dieners eines großen Hauses und stellte sich in die Mitte des Kreises unter die orangefarbene Lampe. Er trug ein Servierbrett mit einer großen und kleinen Flasche und einem Kristallkelch darauf. Ein Gemurmel hob an – wohl weniger in Form von Sprache, sondern allerhand kleinen Lauten der Zufriedenheit, wie keuchenden Atemstößen und schmatzendem Lippenlecken. Der Mann mit dem Servierbrett verharrte regungslos, bis dies seinen Lauf genommen hatte, und trat dann gemessenen Schrittes vor Vodalus.
Hinter mir hörte ich Theas Säuselstimme sagen: »Der Alzabo, von dem ich dir erzählt habe, ist in der kleineren Flasche. In der anderen befindet sich eine Kräutermixtur, die lindernd auf den Magen wirkt. Nimm einen ganzen Schluck von der Mischung.«
Vodalus wandte sich ihr mit erstaunter Miene zu.
Sie betrat den Kreis, indem sie zwischen Jonas und mir und sodann zwischen Vodalus und dem Mann mit dem Servierbrett hindurchging, und nahm schließlich zur Linken von Vodalus ihren Platz ein. Vodalus beugte sich ihr zu und wollte ihr etwas sagen, aber der Mann mit dem Servierbrett hatte begonnen, den Inhalt der Flaschen im Kelch zu mischen, und er hielt den Moment offenbar für sehr unpassend.
Das Servierbrett wurde im Kreise geschwenkt, um die Flüssigkeit sanft in eine Drehbewegung zu versetzen. »Sehr gut«, sagte Vodalus. Er nahm den Kelch mit beiden Händen vom Servierbrett, setzte ihn an die Lippen und reichte ihn weiter zu mir. »Wie die Chatelaine schon gesagt hat, mußt du einen ganzen Schluck nehmen. Nimmst du weniger, reicht es nicht aus, und du wirst nicht teilhaben können. Nimmst du mehr, so bringt dir das keinen Vorteil; es ist eine Verschwendung der sehr kostbaren Droge.«
Ich trank aus dem Kelch, wie er mich geheißen hatte. Die Mixtur schmeckte bitter, war kalt und stank, was mich an einen längst vergangenen Wintertag erinnerte, an dem ich das äußere Abflußrohr der Gesellenquartiere hatte reinigen müssen. Im ersten Moment wurde mir wie am Bach wieder speiübel, und es kam mir hoch, obschon mein Magen eigentlich schon leer war. Ich würgte und schluckte und reichte Jonas den Kelch, woraufhin ich im Mund starken Speichelfluß bemerkte.
Er hatte mindestens die gleichen Schwierigkeiten wie ich, aber schließlich brachte er es hinter sich und übergab den Kelch dem Waldgrafen, der unsere Wächter angeführt hatte. Nun machte der Kelch langsam die Runde. Offenbar reichte der Inhalt für zehn Leute; als das Gefäß leer war, wischte der Mann in Livree den Rand ab, füllte es wieder aus den Flaschen auf dem Servierbrett und ließ es weiterkreisen.
Allmählich löste sich scheinbar die feste Form, die einem rundlichen Gegenstand zu eigen ist, auf, und der Diener wurde zur bloßen Silhouette, zur bunten Holzfigur. Das erinnerte mich an die Marionetten, die ich im Traum gesehen hatte, als ich in Baldanders Bett schlief.
Auch der Kreis, in dem ich saß, wirkte, obwohl er bestimmt aus dreißig
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