Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
wie ich den seinen; wir wußten beide, was für ein Fest uns in dieser Nacht erwartete.
     

 
XI
 
Thecla
     
    Nachdem wir eine lange Weile, wie mir schien, gesessen hatten (obwohl es sich wohl nur um ein paar Momente handelte), konnte ich nicht mehr ertragen, was ich fühlte. Ich ging ans Ufer des Baches, kniete mich dort auf die welche Erde nieder und spie, was ich mit Vodalus gegessen hatte. Als nichts mehr herauskam, verharrte ich würgend und zitternd, wo ich war, und wusch mir Gesicht und Mund, während das kalte, klare Wasser den Wein und das halbverdaute Fleisch, das ich erbrochen hatte, fortspülte.
    Als ich endlich wie er aufstehen konnte, kehrte ich zu Jonas zurück und sagte: »Wir müssen gehen.«
    Er sah mich an, als dauerte ich ihn, was wohl der Fall war. »Es wimmelt hier von Vodalus’ Kriegern.«
    »Dir ist nicht so schlecht wie mir gewesen, sehe ich. Aber du hast gehört, wer ihre Verbündeten sind. Vielleicht hat Chuniald gelogen.«
    »Ich habe sie gehört, unsere Wächter, zwischen den Bäumen – so leise sind sie wiederum auch nicht. Du hast dein Schwert, Severian, und ich ein Messer, aber Vodalus’ Männer werden Bögen haben. Die meisten, die mit uns am Tisch saßen, hatten einen, fiel mir auf. Wir könnten versuchen, uns hinter den Baumstämmen zu verstecken wie Brüllaffen …«
    Ich verstand, was er meinte, und erwiderte: »Brüllaffen werden jeden Tag geschossen.«
    »Aber man jagt sie nicht nachts. In einer Wache oder weniger wäre es dunkel.«
    »Wirst du mit mir gehen, wenn wir bis dahin warten?« Ich streckte ihm die Hand entgegen.
    Er schüttelte sie. »Severian, mein armer Freund, du hast mir erzählt, Vodalus – und diese Chatelaine Thea und einen anderen Mann – neben einem geschändeten Grab gesehen zu haben. Wußtest du denn nicht, was sie mit dem dort Erbeuteten beabsichtigten?«
    Ich hatte es natürlich gewußt, aber es war mir damals abwegig und zusammenhanglos vorgekommen. Nun hatte ich nichts zu sagen und fast keinen anderen Gedanken als die Hoffnung, die Nacht möge schnell anbrechen.
     
    Die Männer, die Vodalus uns schickte, kamen noch schneller: vier stämmige Burschen, die Bauern hätten sein können und Lanzen trugen, und ein fünfter, der wie ein Waffenträger wirkte, mit einer Offiziersspada. Vielleicht waren diese Männer unter der Menge vor dem Thronpodest gewesen, die unsere Ankunft gesehen hatte; jedenfalls waren sie wohl entschlossen, kein Wagnis einzugehen, und umringten uns auf der Stelle mit ihren Spießen, noch während sie uns Freunde und Waffenbrüder hießen. Jonas machte ein beherztes Gesicht, wie es besser nicht ging, und plauderte mit ihnen, als sie uns über Waldwege abführten; ich konnte an nichts anderes als das bevorstehende Martyrium denken und ging, als schritte ich dem Weltuntergang entgegen.
    Die Urth wandte allmählich ihr Gesicht von der Sonne ab. Kein Strahl des Sternenscheins drang durch das dichte Laub, dennoch kannten unsere Führer den Weg so gut, daß sie kaum langsamer wurden. Mit jedem Schritt, den ich tat, wollte ich fragen, ob man uns zwingen würde, dem Mahl, zu dem man uns brachte, beizuwohnen, aber ich wußte ohne zu fragen, daß jede Weigerung – schon das geringste Anzeichen des Nichtwollens – alles Vertrauen, das Vodalus in mich gelegt hatte, zunichte machen und damit meine Freiheit und vielleicht sogar mein Leben gefährden würde.
    Unsere fünf Wächter, die Jonas’ Scherze und Erkundigungen zunächst wortkarg aufgenommen hatten, wurden zusehends unbeschwerter, während meine Verzweiflung wuchs, und machten Sprüche, als wären sie auf dem Weg zu einem Gelage oder Hurenhaus.
    Obschon mir der furchtsame Beiklang in ihren Stimmen nicht entging, waren mir ihre Reden so unverständlich wie das Geschäker eines Wüstlings für ein kleines Kind: »Geht’s diesmal weit? Willst dich wieder ersaufen?« (Dies von dem Mann am Schluß der Gruppe, eine bloße körperlose Stimme aus der Dunkelheit.)
    »Bei Erebus, ich werd’ so tief sinken, ich werd’ vor dem Winter nicht wieder zu sehn sein.«
    Eine Stimme, die dem Waffenträger gehörte, wie ich feststelle, fragte: »Hat einer von euch sie schon gesehn?« Die anderen hatten lediglich geprahlt, hinter diesen einfachen Worten steckte jedoch eine Gier, wie ich sie noch nicht zu Ohren bekommen hatte. Er hörte sich an wie ein verirrter Wandersmann, der sich nach dem Heimweg erkundigt.
    »Nein, Waldgraf.«
    (Eine andere Stimme.) »Alcmund sagt, eine gute, nicht alt und nicht

Weitere Kostenlose Bücher