Die Klaue des Schlichters
die Schulter.
J AHI : Nun siehst du, daß er, den du für deinen Gott gehalten, alles anrät und billigt, was ich dir verlockend angetragen. Ehe die Neue Sonne aufgeht, wollen wir einen neuen Anfang machen.
A UTARCH : Was für ein hübsches Geschöpf wir hier haben. Wie kommt’s, Kind, daß ich in deinen Augen die hellsten Kerzenflammen sich spiegeln sehe, während deine Schwester dort noch auf kalten Zunder pustet?
J AHI : Sie ist keine Schwester von mir!
A UTARCH : Dann deine Gegenspielerin. Komm mit mir! Ich will diesen beiden gestatten, hier ihr Lager aufzuschlagen, und du sollst heut’ abend ein prächtiges Gewand tragen und deinen Mund in Wein baden, und deine grazile Figur wird vielleicht ein bißchen leiden müssen ob der mit Mandeln und kandierten Feigen gefüllten Lerchen.
J AHI : Verschwinde, alter Mann!
A UTARCH : Was? Weißt du, wer ich bin?
J AHI : Ich allein weiß es hier. Du bist ein Gespenst und weniger, eine Säule aus Asche, vom Wind gestützt.
A UTARCH : Aha, sie ist verrückt. Was will sie von dir, Freund?
M ESCHIA (erleichtert): Ihr zürnt ihr nicht? Wie gnädig von Euch.
A UTARCH : Ganz und gar nicht! Ach, eine verrückte Dame wäre ein höchst interessantes Erlebnis – würde mich reizen. Glaube mir, und es reizt einen wenig, wenn man so viel gesehen und erlebt hat wie ich. Sie beißt doch nicht etwa? Ich meine, fest?
M ESCHIANE : O ja, und in ihren Fängen rinnt Gift.
J AHI macht einen Satz nach vorne, um sie zu kratzen. M ESCHIANE verschwindet fluchtartig, von J AHI verfolgt.
A UTARCH : Ich lasse meine Pikeniere den Garten nach ihnen absuchen.
M ESCHIA : Keine Sorge, sie sind bald zurück. Ihr werdet sehen. Ich bin eigentlich froh, bis dahin einen Moment mit Euch allein zu sein. Ich habe ein paar Fragen, die ich Euch stellen wollte.
A UTARCH : Nach sechs gewähre ich keine Gunst – das ist eine Regel, die ich aufstellen mußte, um nicht den Verstand zu verlieren. Das verstehst du doch?
M ESCHIA (etwas erstaunt): Gut, das zu wissen. Aber ich wollte wirklich nichts erbitten. Nur eine Auskunft, göttliche Weisheit möcht’ ich hören.
A UTARCH : Wenn dem so ist, beginn! Aber laß dir gesagt sein, daß du einen Preis zu zahlen hast. Dieser wahnsinnige Engel sei heut’ nacht mein.
M ESCHIA sinkt auf die Knie.
M ESCHIA : Da ist etwas, das ich nie verstanden habe. Warum muß ich zu Euch sprechen, wenn Ihr jeden meiner Gedanken kennt? Meine erste Frage wäre: Obwohl ich weiß, daß sie zu jenem Gezücht gehört, das Ihr verstoßen, soll ich nicht dennoch tun, was sie mir anträgt? Denn sie weiß um mein Wissen und im Grunde meines Herzens glaube ich, daß sie sich mit rechtem Handeln hervortut in der Meinung, ich würde es verschmähen, weil es von ihr kommt.
A UTARCH (abgewandt): Er ist auch verrückt und hält mich wegen meiner gelben Robe für einen Gott. (Zu M ESCHIA :) Ein kleiner Ehebruch tut keinem Manne weh. Sofern’s natürlich nicht der seines Weibes ist.
M ESCHIA : Dann täte der meine ihr weh? Ich …
Die C ONTESSA und ihre Z OFE treten auf.
C ONTESSA : O Herr. Was macht Ihr hier?
M ESCHIA : Ich bete, Tochter. Zieh wenigstens die Schuhe aus, denn das ist heiliger Boden!
C ONTESSA : Wer ist dieser Narr, Herr?
A UTARCH : Ein Verrückter, den ich hier mit zwei Frauen fand, die genauso verrückt sind.
C ONTESSA : Dann sind sie uns an Zahl überlegen, es sei denn, meine Zofe sei klar bei Verstand.
Z OFE : Euer Gnaden …
C ONTESSA : Was ich bezweifle. Heut’ nachmittag hat sie mir eine purpurrote Stola zu meinem grünen Mantel rausgelegt. Ich sollte wohl aussehn wie eine veilchenumkränzte Stange, möcht’ ich meinen.
M ESCHIA , der zusehends ungehaltener geworden ist, während sie spricht, versetzt ihr einen Schlag, der sie zu Boden gehen läßt. Der A UTARCH hinter ihm flieht unbemerkt.
M ESCHIA : Balg! Geh mir in meiner Nähe nicht leichtfertig mit heiligen Dingen um oder wage es, etwas anderes zu tun als das, was ich dir sage.
Z OFE : Wer seid Ihr?
M ESCHIA : Ich bin der Stammvater des Menschengeschlechts, mein Kind. Und du bist mein Kind genau wie sie!
Z OFE : Ich hoffe, Ihr verzeiht ihr – und mir. Uns wurde gesagt, Ihr wäret tot.
M ESCHIA : D U brauchst dich nicht zu entschuldigen. Die meisten sind ja schließlich tot. Aber ich bin zurückgekehrt, wie du siehst, um den neuen Morgen willkommen zu heißen.
N OD (der sich nach langer Starre wieder bewegt und nach langem Schweigen wieder spricht): Wir sind zu früh da.
M ESCHIA (deutend): Ein
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