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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Zimmerfluchten, Alkoven und Arkaden ungesehen durchschritten hatten, als er mich durch die verborgenen Gänge des Geheimen Hauses geleitete, so glitten nun auch die schlafende Jolenta und ich laut- und mühelos durch viele Meilen des Gartens. Paare lagen im weichen Gras unter Bäumen oder in bequemen Lauben und schienen zu denken, unser Gefährt sei lediglich zur Zierde und zu ihrem Ergötzen auf diese müßige Reise flußabwärts geschickt worden, oder – falls sie meinen Kopf über dem geschwungenen Blütenrand sahen – wir seien auf eigene Dinge erpicht. Einsame Philosophen meditierten auf schlichten Hockern, und Gesellschaften, nicht immer erotische, gingen ungestört in Lauben und Pavillons vonstatten.
    Schließlich verübelte ich Jolenta, daß sie schlief. Ich ließ vom Ruder ab und kniete mich neben sie auf das Polster. In ihrem schlummernden Gesicht lag trotz aller Künstlichkeit eine Reinheit, die ich nie beobachtet hatte, wenn sie wach war. Ich küßte sie, und ihre großen, kaum geöffneten Augen wirkten fast wie Agias lange Augen, wie auch ihr rotgoldenes Haar beinahe braun schien. Ich knöpfte ihr Gewand auf. Sie kam mir benommen vor, ob wegen einer Schlafdroge in den dicken Polstern oder wegen des langen Spaziergangs im Freien und der Bürde ihrer so üppigen Leibesfülle. Ich entblößte ihre Brüste, eine jede beinahe so groß wie ihr Kopf, und jene weißen Schenkel, die zwischen sich gleichsam ein frisch geschlüpftes Küken bargen.
     
    Als wir zurückkehrten, wußte jeder, wo wir gewesen waren, obschon sich Baldanders wohl nichts daraus machte. Dorcas weinte insgeheim, während sie sich eine Weile zurückzog, denn sie kam mit geröteten Augen und einem heldenmütigen Lächeln wieder. Dr. Talos war zugleich erzürnt und entzückt. Ich bekam den Eindruck (den ich bis heute habe), daß er Jolenta nie besessen hatte, obschon sie sich von allen Männern auf Urth nur ihm ganz freiwillig hingegeben hätte.
    Die bis zur Dämmerung verbleibenden Wachen brachten wir damit zu, Dr. Talos’ Feilschen mit verschiedenen Hofbeamten des Hauses Absolut anzuhören oder zu proben. Da ich bereits angedeutet habe, was es bedeute, auf Dr. Talos’ Bühne zu agieren, will ich nun den ungefähren Text wiedergeben – nicht wie er auf den schmutzigen Zetteln existiert hat, die wir an diesem Nachmittag von Hand zu Hand gereicht und die oft nur einen Hinweis zum Improvisieren enthalten haben, sondern wie ihn ein fleißiger Sekretär im Publikum festgehalten hätte; und wie er tatsächlich festgehalten worden ist von jenem dämonischen Zeugen, der hinter meinen Augen wohnt.
    Aber zunächst müßt ihr euch unser Amphitheater vorstellen. Der Rand der Urth ist wieder einmal mühsam über die rote Scheibe geklettert; Fledermäuse mit langen Schwingen flattern in der Höhe, und der fahle Mond steht tief im Osthimmel. Stellt euch eine sanft ansteigende Senke vor, tausend Schritt oder mehr von Rand zu Rand, inmitten sanft gewellter, grasbedeckter Hügel. Es sind Türen in diesen Hügeln, manche nicht größer als der Eingang zu einem gewöhnlichen Zimmer, andere so breit wie die Tore einer Basilika. Diese Türen stehen offen, und dunstig-weiches Licht dringt durch sie heraus. Gepflasterte Wege schlängeln sich zum kleinen Portal unseres Proszeniums herab; sie sind übersät mit Männern und Frauen in närrischen Kostümen – Kostümen, die dem Altertum nachempfunden sind, so daß ich mit meinem bruchstückhaften Geschichtswissen von Thecla und Meister Palaemon kaum eins davon erkenne. Diener, mit Servierbrettern beladen, die sich unter den Bechern und Kelchen, köstlichen Fleischspeisen und duftenden Pasteten biegen, schreiten durch die Gästeschar. Schwarze Sessel aus Samt und Ebenholz, feingliedrig wie Grillen, sind gegenüber unserer Bühne aufgestellt, aber die meisten Besucher ziehen es vor zu stehen. Während der ganzen Vorstellung herrscht ein unentwegtes Kommen und Gehen, und viele bleiben nur für ein Dutzend Sätze. Laubfrösche quaken in den Bäumen, die Nachtigallen trillern, und auf den Hügeln schreiten die wandelnden Statuen in vielen Posen. Alle Bühnenrollen werden von Dr. Talos, Baldanders, Dorcas, Jolenta oder mir gespielt.
     

 
XXIV
 
Dr. Talos’ Schauspiel:
Eschatologie und Genesis
     
    Eine Aufführung (wie er behauptet) von Teilen des verschollenen Buchs der Neuen Sonne
     
    Personen
    Gabriel
    Der Riese Nod
    Meschia, erster Mann
    Meschiane, erste Frau
    Jahi
    Der Autarch
    Die Contessa
    Ihre Zofe
    Zwei

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