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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Riese! Ein Riese!
    C ONTESSA : Oh! Solange! Kyneburga!
    Z OFE : Ich bin hier, Euer Gnaden. Lybe ist da.
    N OD : Um einiges zu früh für die Neue Sonne.
    C ONTESSA (beginnt zu weinen): Die Neue Sonne kommt! Wir werden vergehn wie Träume.
    M ESCHIA (sieht, daß N OD nicht gewalttätig wird): Schlechte Träume. Aber so wird es am besten für euch sein, das versteht ihr doch, nicht wahr?
    C ONTESSA (erholt sich etwas): Was ich nicht verstehe, ist, wie du, der du mit einemmal so weise sprichst, den Autarchen mit dem Weltgeist verwechseln konntest.
    M ESCHIA : Ich weiß, ihr seid meine Töchter in der alten Schöpfung. Ganz bestimmt, da ihr Menschenfrauen seid und ich in dieser noch keine hatte.
    N OD : Sein Sohn wird meine Tochter zum Weib nehmen. Das ist eine Ehre, die uns gebührt – wir sind nur eine Familie von niedriger Geburt, die Kinder von Gäa – dennoch werden wir beglückt und erhört. Ich werd’ … Was werd’ ich sein, Meschia? Der Schwiegervater deines Sohnes? Vielleicht könnten meine Frau und ich, wenn es dir nichts ausmacht, unsere Tochter am selben Tag besuchen wie du deinen Sohn. Du würdest uns doch nicht einen Platz am Tisch verwehren? Wir würden uns natürlich auf den Boden setzen.
    M ESCHIA : Natürlich nicht. Der Hund tut’s bereits – oder wird’s, wenn wir ihn sehn. (Zur C ONTESSA .) Ist dir noch nicht in den Sinn gekommen, daß ich vielleicht mehr über ihn, den du Weltgeist nennst, weiß als euer Autarch über sich selbst? Nicht nur euer Weltgeist, sondern auch viele geringere Mächte tragen unser Menschsein wie einen Mantel, wenn sie wollen, manchmal nur zwei oder drei von uns betreffend. Wir, die Getragenen sind uns dessen selten bewußt, da wir uns als uns selbst vorkommen, dennoch sind wir einander Demiurg, Paraklet und Widersacher.
    C ONTESSA : Eine spät erworbene Weisheit, wenn ich mit dem Aufgang der Neuen Sonne verbleichen muß. Ist es schon nach Mitternacht?
    Z OFE : Fast, Euer Gnaden.
    C ONTESSA (ins Publikum deutend.) All diese guten Leute – was wird ihnen widerfahren?
    M ESCHIA : Was widerfährt dem Laub, wenn sein Jahr vorüber und es vom Wind verweht wird?
    C ONTESSA : Wenn …
    M ESCHIANE wendet sich gen Osten, als wollte er im Himmel nach den ersten Zeichen der Dämmerung Ausschau halten.
    Contessa: Wenn …
    Meschia: Wenn was?
    Contessa: Wenn mein Leib einen Teil des deinen enthielte – schleimige Gewebstropfen in meinen Lenden bärge …
    M ESCHIA : Dann vermöchtest du noch eine Weile auf Urth zu wandeln, als verlorenes Ding, das nie mehr den Heimweg fände. Aber ich werd’ dich nicht begatten. Glaubst du, du wärst mehr als ein Leichnam? Du bist weniger.
    Die Zofe fällt in Ohnmacht.
    C ONTESSA : D U sagst, du seist der Vater alles Menschlichen. Dem muß so sein, denn du bist der Tod für Frauen.
    Die Bühne wird dunkel. Wenn das Licht wieder angeht, liegen M ESCHIANE und J AHI gemeinsam unter einer Eberesche. In dem Berghang dahinter befindet sich eine Tür. J AHIS Lippe ist aufgeschlagen und geschwollen, was sie schmollend erscheinen läßt. Blut rinnt daraus zum Kinn.
    M ESCHIANE : Wie stark wäre ich noch, weiter nach ihm zu suchen, wüßt’ ich nur, du würdest mir nicht folgen.
    J AHI : Mich stärkt die Kraft der Unterwelt, und ich folgte dir zum andern Ende der Urth, wenn’s sein müßt’. Aber wenn du mich noch einmal schlägst, wirst du es mir büßen.
    M ESCHIANE erhebt die Faust, und J AHI weicht zurück.
    M ESCHIANE : Deine Beine zitterten schlimmer, als wir beschlossen, hier zu rasten.
    J AHI : Ich leide viel mehr als du. Aber die Kraft der Unterwelt ist unerträglich dauerhaft – wie ich auch schöner als du bin und ein bei weitem grazileres Geschöpf.
    M ESCHIANE : Das hat sich, mein’ ich, gezeigt.
    J AHI : Ich warne dich abermals, und es wird keine dritte Warnung mehr geben. Schlag mich auf eigene Gefahr.
    M ESCHIANE : Was willst du tun? Erinys anrufen, mich zu vernichten? Das fürchte ich nicht. Wenn du’s könntest, hättest du’s längst getan.
    J AHI : Schlimm’res. Wenn du mich noch einmal schlägst, wirst du Gefallen daran finden.
    Der E RSTE und Z WEITE S OLDAT treten auf, mit Piken bewehrt.
    E RSTER S OLDAT : Sieh hier!
    Z WEITER S OLDAT ( ZU den Frauen): Nieder, nieder! Steht mir nicht auf, oder ich spieß euch auf wie ’nen Reiher. Ihr kommt mit uns!
    M ESCHIANE : Auf Händen und Knien kriechend?
    E RSTER S OLDAT : Werd mir nicht frech!
    Er stößt sie mit seiner Pike; dabei ertönt ein Brummen, fast zu tief, um vernehmbar

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