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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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die ihr kennt, wird verdrängt, wie das Gras, das so lang in den Ebenen gediehen, dem Pfluge weicht und Platz macht für den Weizen.
    Z WEITER D ÄMON : Was wäre aber, würde der Same verbrannt? Was wäre dann? Der große Mann und die kleine Frau, denen Ihr vor nicht allzu langer Zeit begegnet, sind ein solcher Same. Man hatte einst gehofft, ihn auf dem Felde vergiften zu können, aber sie, welche ausgesandt wurde, das zu bewerkstelligen, verlor den Samen zwischen dem dürren Gras und den gebrochenen Schollen aus den Augen und wurde wegen einiger Kunstgriffe Eurem Inquisitor zum peinlichen Verhör übergeben. Dennoch könnte der Same noch verbrannt werden.
    A UTARCH : Diese Gedanken sind mir auch schon durch den Sinn gegangen.
    E RSTER UND Z WEITER D ÄMON (im Chor): Natürlich!
    A UTARCH : Aber würde der Tod dieser beiden das Kommen der Neuen Sonne wirklich aufhalten?
    E RSTER D ÄMON : Nein. Aber wolltet Ihr das? Die neuen Lande sollen Euer sein.
    Die Schirme werden hell. Bewaldete Hügel und die Giebel von Städten erscheinen darauf. Der A UTARCH kehrt sich ihnen zu. Nach einer Pause zieht er aus seiner Robe einen Fernmelder.
    A UTARCH : Möge die Neue Sonne nie sehen, was wir hier tun … Schiffe! Bestreicht uns mit Feuer, bis alles versengt ist.
    Während die D ÄMONEN verschwinden, setzt N OD sich auf. Die Städte und Hügel verblassen, und auf den Schirmen ist vielfach das Abbild des A UTARCHEN ZU sehen. Die Bühne wird dunkel. Wenn das Licht wieder angeht, sitzt der I NQUISITOR an einem hohen Pult in der Mitte der Bühne. Sein P ROPHET , als Folterer gekleidet und mit Maske, steht daneben. Zu beiden Seiten befinden sich verschiedene Marterwerkzeuge.
    I NQUISITOR : Bring die Frau, die als Hexe gilt, Bruder!
    V ERTRAUTER : Die Contessa wartet draußen, und da sie von beglücktem Stand ist und hoch in der Gunst unseres Herrschers steht, bitt’ ich, sie zuerst zu empfangen.
    Die C ONTESSA tritt auf.
    C ONTESSA : Ich hörte, was gesagt wurde, und da ich nicht glauben mochte, eine solche Bitte fiele bei Euch, Inquisitor, auf taube Ohren, war ich so kühn, sofort einzutreten. Haltet Ihr das nun für kühn?
    I NQUISITOR : Ihr spielt mit Wörtern. Aber ja, ich geb’ zu, dafür halt ich’s.
    C ONTESSA : Dann denkt Ihr falsch von mir. Seit meiner Kindheit wohne ich schon acht Jahre in diesem Haus Absolut. Als das erste Blut aus meinen Lenden drang und meine Mutter mich herbrachte, warnte sie mich, nie in die Nähe dieser Eurer Gemächer zu gehen, wo das Blut, ungeachtet der Phasen des wankelmütigen Mondes so reichlich fließt. Und ich bin noch nie gekommen bis auf jetzt, und jetzt zitternd.
    I NQUISITOR : Hier haben die Guten nichts zu fürchten. Dennoch glaube ich Euren eigenen Worten gemäß, Ihr seid kühn geworden. C ONTESSA : Und bin ich gut? Seid Ihr’s? Ist er’s? Mein Beichtvater pflegt zu sagen, ich sei’s nicht. Was sagt Euch der Eurige, oder ist er furchtsam? Und ist Euer Vertrauter ein bessrer Mensch als Ihr?
    V ERTRAUTER : Das würd’ ich nicht sein wollen.
    C ONTESSA : Nein, ich bin weder kühn noch sicher hier, wie ich weiß. Es ist die Furcht, die mich in diese grimmigen Kammern treibt. Man hat Euch von dem nackten Mann berichtet, der mich geschlagen. Ist er ergriffen?
    I NQUISITOR : Er wurde nicht zu mir gebracht.
    C ONTESSA : Vor kaum einer Woche fanden mich ein paar Soldaten klagend im Garten, wo meine Zofe mich zu beruhigen versuchte. Weil ich Angst hatte, im Dunkeln draußen zu sein, trugen sie mich in meine Gemächer, und zwar durch jene Galerie, die man Luftstraße nennt. Wißt Ihr, was ich meine?
    I NQUISITOR : Ganz genau.
    C ONTESSA : Dann wißt Ihr gleichfalls, daß sich darüber überall Fenster befinden, damit die anstoßenden Gemächer und Korridore Licht haben. Beim Vorübergehen sah ich in einem die Gestalt eines Mannes, groß und wohlgestaltet, breitschultrig und schmalhüftig.
    I NQUISITOR : Solche Männer gibt es viele.
    C ONTESSA : S O dacht’ ich auch. Aber kurz darauf erschien dieselbe Gestalt in einem anderen Fenster – und noch einem anderen. Darauf bat ich die Soldaten, die mich trugen, darauf zu feuern. Sie hielten mich für verrückt und weigerten sich, aber die Gruppe, die sie schickten, diesen Mann zu ergreifen, kehrte mit leeren Händen zurück. Noch immer blickte er aus den Fenstern auf mich herab und schien sich hin und her zu wiegen.
    I NQUISITOR : Und Ihr glaubt, dieser Mann sei derselbe, der Euch geschlagen habe?
    C ONTESSA : Schlimmer noch. Ich fürchte, er

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