Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
können.
Sexualmorde sind selten geplant
Die hohe Aufklärungsquote bei sexuell motivierten Tötungsdelikten erklärt sich nicht zuletzt damit, dass die Täter meist spontan und unstrukturiert handeln. Häufig werden die Opfer mit zufällig am Tatort aufgefundenen Werkzeugen – wie Scheren, Schraubendrehern, Messern – getötet oder mit bloßen Händen erwürgt.
Nicht selten kommen die Opfer auch direkt oder indirekt durch die sexuellen Gewalthandlungen ums Leben, die ihr Peiniger an ihnen ausführt; beispielsweise durch Verbluten infolge (vaginaler und analer) Pfählungsverletzungen. Oftmals wird das Opfer auch unmittelbar nach Vergewaltigung oder Missbrauch ermordet, um diese Straftaten zu verdecken, also zu verhindern, dass das Opfer den Täter verrät.
In vielen Fällen fliehen die Täter anschließend vom Tatort, ohne den toten Körper oder sonstige verräterische Spuren zu beseitigen – genauso unstrukturiert wie die Ausführung der Tat selbst ist auch das Nachtatverhalten. In mehr als der Hälfte der Berliner Fälle, die sich zwischen 1990 bis 2010 ereigneten, wurden die Leichen der Opfer in deren Wohnung bzw. in der Unterkunft des Täters gefunden. Einige Täter versuchten zwar, die Leiche verschwinden zu lassen, legten sie aber meist nur in leicht auffindbaren Verstecken in unmittelbarer Nähe ab.
So verwundert es nicht, dass mehr als die Hälfte der Berliner Sexualmörder zwischen 1990 und 2010 unmittelbar nach der Tat gefasst wurden. Weitere 15 Prozent stellten sich der Polizei, weil sie mit der Tat nicht weiterleben konnten oder nachdem sie sich einer Vertrauensperson offenbart hatten. Ein Täter erhängte sich gar direkt am Ort des Verbrechens; drei weitere unternahmen noch am Tatort einen Suizidversuch.
Opferprovokation und »Overkill«
Häufig kommt es zum Mord, weil sich der Täter durch das Opfer »provoziert« fühlt. Er verliert seine – meist ohnehin gestörte – Selbstkontrolle und rastet buchstäblich aus. Die Ursache kann eine simple Beleidigung sein, oder der Täter fühlt sich provoziert, weil das Opfer sexuelle Handlungen verweigert, zu denen es den Täter vermeintlich eingeladen hatte. Der Täter kann sich auch umgekehrt durch sexuelle Wünsche des Opfers überfordert fühlen – beispielsweise ein Strichjunge, der sich vor dem Freier ekelt und plötzlich »rotsieht«. Und in nicht wenigen Fällen besteht bis unmittelbar vor dem sexuellen Tötungsdelikt eine intime Partnerschaft zwischen Täter und Opfer: Das Opfer beendet die Beziehung – und beim Täter »brennen die Sicherungen durch«.
In rund einem Viertel der in Berlin zwischen 1990 und 2010 registrierten sexuellen Tötungsdelikte kam es dabei zum sogenannten Übertöten (»Overkill«): Die Täter fügten den Opfern weitaus mehr Verletzungen zu, als für die einfache Tötung erforderlich gewesen wären. Bei sieben Opfern brachte die Obduktion zwischen zwanzig und achtzig Stich- und Schnittverletzungen in Gesicht, Brust, Bauch, Rücken und Genitalbereich zutage. Ein Opfer wurde durch sechs Schüsse aus unmittelbarer Nähe ums Leben gebracht, ein weiteres erlitt 26 Platzwunden an Kopf und Gesicht, zahlreiche Schädelfrakturen und Hirnzerreißungen durch Schläge mit stumpfen Gegenständen und Fußtritte.
Die Botschaft solcher Gewaltorgien ist in vielen Fällen leicht zu entschlüsseln: Die abtrünnige Ex-Geliebte beispielsweise, die dem Täter den Laufpass gegeben hat, soll nicht nur ihr Leben verlieren, sondern auch ihr Gesicht, ihre Persönlichkeit und damit ihre Identität. In der operativen Fallanalyse (»Profiling«) gibt es dafür einen eigenen Begriff: Depersonalisierung.
In anderen Fällen dagegen zeugt die Verstümmelung der Opfer nicht von einem Hassausbruch, sondern schlicht von der Überforderung des Täters. Die Tat selbst ist im überwiegenden Teil der Fälle ungeplant, und so hat der Täter sich vorab auch nicht überlegt, auf welche Weise er sein Opfer zu Tode bringen will oder wie er es am effektivsten beseitigt. Der Täter selbst wird in vielen Fällen von den Ereignissen genauso »überrollt« wie sein Opfer.
Nicht selten wechselt der Täter daher mitten im Tatvorgang die Tötungsart. Zunächst versucht ein Täter beispielsweise, sein Opfer zu erwürgen, was sich als unerwartet schwierig erweist. Schließlich gerät ihm ein spitzer oder stumpfer Gegenstand in den Blick, und er versucht stattdessen, das Opfer damit zu erstechen oder zu erschlagen.
Der Teufel in der Flasche
Bei sexuellen
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