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Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Titel: Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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und breitschultrig. Mit seinem blassen, bartlosen Gesicht und seiner scheuen, ernsthaften Art kommt er ihr aber eher wie ein zu groß geratener Junge vor.
    Sie verabschieden sich und beenden das Gespräch. Vera Markov ruft gleich darauf ihren Vater Valerij Sobotkin an, um ihm mitzuteilen, dass Sascha den Praxisschlüssel bei ihm abholen wird.
    Seit gut einem Jahr lebt Sascha Wassilow bei den Markovs. Timur und Kolja bewundern und lieben ihn wie einen großen Bruder. Auch die Eltern Markov vertrauen dem Betreuer ihrer Kinder bedingungslos. Vera Markov kommt nur manchmal ein wenig ins Grübeln, weil Sascha so zurückgezogen lebt.
    Von seinen Mitschülern in der Sprachschule scheint er nicht viel zu halten. »Große Klappe, kleines Gehirn«, hat er einmal über die anderen jungen Ausländer geurteilt, die sich in der Schule mehr oder weniger eifrig um eine Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse bemühen.
    Sascha dagegen spricht schon nach einem Jahr bemerkenswert gutes Deutsch. Er ist die Zuverlässigkeit in Person und überdurchschnittlich intelligent. In seiner kaukasischen Heimatstadt hat er Ökologie studiert und die Abschlussprüfung mit Auszeichnung bestanden. Doch dann gab es offenbar in ganz Russland keine Arbeitsstelle für einen hoffnungsvollen jungen Diplom-Ökologen, und so entschloss sich Sascha, sein Glück in Berlin zu versuchen. Sein Vater, der als Berufsschullehrer in Karatschajewsk arbeitet, und Nikolaj Markov kennen sich seit Jugendzeiten. Daher waren die Markovs gleich bereit, den jungen Landsmann als Au-pair-Jungen in ihrem Haus aufzunehmen.
    Bisher haben sie es keine Sekunde lang bereut – ganz im Gegenteil. Abends spielt Sascha oft stundenlang mit Nikolaj Markov Schach. Unter seiner Obhut sind ihre Söhne so sicher wie in Fort Knox – davon sind die Eltern überzeugt. Und trotzdem fragt sich Vera Markov nach dem Telefongespräch mit Sascha wieder einmal: Ist es nicht doch ein wenig seltsam, dass sich der junge Mann nie mit Freunden trifft? Und dass er offensichtlich überhaupt kein Interesse an Mädchen hat?

    Gegen 13:10 Uhr klingelt Sascha Wassilow an der Wohnung von Valerij Sobotkin. Veras Vater lebt von einer schmalen Rente und verdient sich ein paar Euro dazu, indem er einmal wöchentlich die Praxis seines Schwiegersohns reinigt. So hat er schon öfter beobachtet, wie Sascha in dem rundum verspiegelten Fitnessraum stundenlang sein Trainingsprogramm durchzieht.
    Valerij Sobotkin hat sich auch schon seine Gedanken über Sascha gemacht. Irgendwie muss der Junge seine Energien ja abreagieren, lautet seine Meinung. Sobald Sascha ein Mädchen kennengelernt hat, wird auch sein Trainingspensum auf ein normales Maß zurückgehen.
    Daher ist der ältere Mann sofort einverstanden, als Sascha ihn fragt, ob er kurz mit seinem Handy telefonieren dürfe. »Ich will mich für heute Abend verabreden«, erklärt er, »und meine Prepaid-Karte ist leer.«
    Valerij Sobotkin beeilt sich, ihm sein eigenes Mobiltelefon zu holen. »Ist sie hübsch?«, fragt er augenzwinkernd.
    Sascha Wassilow sieht ihn ausdruckslos an. Er tippt eine Nummer ein, hält sich das Handy ans Ohr und sagt leise, fast schüchtern, auf Russisch: »Hi, Dunja, ich bin’s – Sascha. Wollen wir uns heute Abend in der Stadt treffen? Wir können ein bisschen herumlaufen und vielleicht später noch in einen Club gehen.«
    Er lauscht einen Augenblick, und die Andeutung eines Lächelns fliegt über sein Gesicht. »Okay, also um sieben am Bahnhof Zoo«, sagt er und beendet das Gespräch.
    »Dunja heißt die Glückliche also?«, hakt Valerij Sobotkin nach.
    Sascha zuckt nach seiner üblichen wortkargen Art nur mit den Schultern. Aber der ältere Mann bohrt weiter, und schließlich lässt sich Sascha doch noch ein paar Sätze über seine neue Bekanntschaft entlocken.
    »Sie ist erst seit kurzem in meinem Sprachkurs«, sagt er. »Wir sitzen manchmal nebeneinander oder gehen nach der Schule zusammen zur U-Bahn. Sie ist ganz nett – man kann gut mit ihr reden.«
    Das klingt nicht gerade enthusiastisch, sagt sich Vera Markovs Vater. Aber für Saschas Verhältnisse ist es trotzdem fast schon eine Liebeserklärung.
    Sascha gibt Sobotkin das Handy zurück und erklärt, dass er den Schlüssel der physiotherapeutischen Praxis trotzdem brauche. Am Nachmittag wolle er noch ein paar Stunden im Fitnessraum trainieren. Mit Dunja sei er schließlich erst um sieben Uhr abends verabredet.
    »Aber verausgabe dich nicht – mit den Hanteln, meine ich«, rät ihm

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