Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Handy liegt der Mordkommission noch am selben Tag vor. Sie ergibt, dass sich der Amerikaner entgegen seiner Behauptung am 5. Juli ab 21:40 Uhr in der Alesundstraße in Oberschöneweide aufgehalten hat, also in der Wohnung seiner Freundin Lara Rossbach oder im unmittelbaren Umkreis.
»Schick zwei Kollegen ins Holy House «, fordert Hauptkommissar Wittig seine Kollegin Lückertz auf. »Sie sollen Burren zu uns in die Dienststelle bringen. Wir vernehmen ihn noch einmal – diesmal als Beschuldigten.«
Am Nachmittag des 15. Juli sitzt Hank Burren den beiden Kriminalbeamten in einem Vernehmungszimmer der Mordkommission erneut gegenüber. Offensichtlich hat er im Verlauf des Tages bereits einige Dosen Energy-Wodka geleert. Aber er wirkt nicht benommen, sondern deutlich wacher und konzentrierter als bei seiner morgendlichen Vernehmung als Zeuge.
»Okay, da habe ich nicht ganz die Wahrheit gesagt«, räumt er ein, als Dominic Wittig ihn mit der Auswertung seiner Handydaten konfrontiert. »Ich bin an dem Abend doch noch raus nach Oberschöneweide gefahren.«
»Zusammen mit Leon Feldgärtner?«, fragt der Hauptkommissar.
Hank Burren nickt. »Eigentlich wollten Leon und ich noch in die Kneipe Zum Scharfrichter gehen«, erklärt er. »Aber als wir in Schöneweide aus der S-Bahn gestiegen sind, ist es plötzlich zwischen uns zum Streit gekommen. Ich weiß gar nicht mehr, worum es überhaupt ging. Jedenfalls haben wir uns geschlagen. Leon hat meine Faust auf die Nase bekommen und ist abgehauen – keine Ahnung, wohin. Ich bin dann direkt zu Lara gegangen. Fragen Sie sie doch selbst.«
Bei dieser Aussage bleibt Burren. Auf die Frage, warum er zuerst geleugnet habe, dass Feldgärtner mit ihm nach Oberschöneweide gefahren sei, antwortet er nur immer wieder: »Ich wollte keinen Ärger bekommen. Probleme mit Behörden hatte ich in meinem Leben schon genug.«
Der Hauptkommissar erklärt ihm, dass er vorläufig festgenommen sei und bis auf weiteres in Untersuchungshaft bleiben müsse. Nachdem Burren abgeführt worden ist, ordnet Wittig an, Lara Rossbach in ihrer Wohnung abzuholen und zur Dienststelle der Mordkommission zu bringen. Seine Kollegin Lückertz bittet er, bei den US-Behörden anzufragen, ob dort etwas gegen Hank Burren vorliegt.
Als die über Interpol angeforderten Informationen einige Tage später eintreffen, wird Hauptkommissar Wittig klar, auf welche »Probleme mit Behörden« Hank Burren angespielt hat.
In den USA hat Burren schon mit 13 Jahren seine erste Haftstrafe verbüßt: Nachdem er einen anderen Jugendlichen krankenhausreif geschlagen hatte, kam er für drei Monate in Jugendarrest. Das war jedoch nur der Anfang einer unrühmlichen Karriere. Seit seinem achtzehnten Lebensjahr wurde gegen Burren wegen insgesamt zwölf Gewaltverbrechen in verschiedenen US-Bundesstaaten ermittelt. Dabei ging es immer wieder um schwere Körperverletzung, in zwei Fällen aber auch um »Erzwingen von sexuellem Kontakt ohne Einwilligung«. Wegen schwerer Körperverletzung musste er schließlich für fünf Jahre hinter Gitter.
Nach seiner Haftentlassung schien sich Burrens Leben zunächst in geordneteren Bahnen zu bewegen. Er arbeitete als Tätowierer in Brooklyn und lebte mehrere Jahre lang mit einer Partnerin zusammen, die einen Sohn von ihm bekam. Die Frau war drogenabhängig, die Beziehung scheiterte, und danach begann Hank Burren hemmungslos zu trinken. Immer häufiger verlor er die Selbstkontrolle; diverse Entziehungsversuche endeten mit immer neuen Rückfällen. Er verlor seinen Arbeitsplatz, vagabundierte von einem Bundesstaat zum anderen, nahm Jobs an und verlor sie gleich darauf wieder, weil er ständig betrunken war und aus nichtigen Anlässen gewalttätig wurde.
Als die Staatsanwaltschaft von Louisiana im Januar 2011 erneut ein Verfahren gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung einleitete, setzte sich Hank Burren nach Berlin ab. Hier fand er zwar rasch Arbeit im Tattoo-Studio Holy House, aber sein Alkoholproblem reiste mit ihm in die Alte Welt – und seine Neigung zu schwerer Gewalttätigkeit im Vollrausch anscheinend auch.
Von dieser umfangreichen Polizei- und Gerichtsakte wissen die Berliner Ermittler noch nichts, als Polizeikommissar Sascha Mogurski am Freitagnachmittag mit einem Kollegen nach Oberschöneweide fährt.
Die Alesundstraße verläuft parallel zur Spree. Haus Nummer 27 ist ein grauer Wohnblock aus den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Haustür steht offen. Ohne vorher zu
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