Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
vor Feuchtigkeit verfault. Dass uns die Stadtwerke das Gas abgestellt haben, fiel für uns kaum ins Gewicht – die Heizung hat sowieso nicht richtig funktioniert. Stattdessen hat es durch das Abzugsrohr in der Therme wie blöd gezogen!«
Sie beißt sich auf die Unterlippe. Sandra Möller und Felix Glatter wechseln einen Blick.
»Wer von Ihnen beiden hat das Abzugsrohr der Therme verstopft?«, fragt die Kriminalhauptkommissarin ohne weitere Umschweife.
Angelo Bertone ballt die Hände zu Fäusten und starrt sie wütend an. »Wer sagt denn, dass wir das gewesen sind?«
»Nur die Ruhe, junger Mann«, geht Glatter dazwischen.
»Die Zeitungen, mit denen das Rohr verstopft wurde, sind gut fünf Jahre alt. Damals haben Sie dort gewohnt«, nimmt Sandra Möller den Faden wieder auf. »Also beschreiben Sie uns einfach mal, was Sie gemacht haben.«
Mutter und Sohn sehen sich eine Minute lang schweigend an. Angelo schüttelt mehrfach den Kopf, und jedes Mal antwortet Sigrid Bertone mit einem energischen Nicken.
»Okay, was soll’s!«, stößt der junge Mann schließlich hervor. »Wir haben Grabowski x-mal angerufen und aufgefordert, irgendwas gegen die Zugluft und den Schimmel in der Wohnung zu unternehmen. Aber so ein feiner Herr weiß ganz genau, dass er uns sehr viel mehr Ärger machen kann als umgekehrt. Er hat sich immer irgendwie rausgeredet, und passiert ist rein gar nichts. Und damals im Winter, als es klirrend kalt wurde und meine Mutter auch noch eine Bronchitis bekam, da habe ich die verdammte Therme aufgemacht und mit einem Stock Lumpen und Zeitungen in das Rohr gestopft – damit uns zumindest nicht mehr der eiskalte Wind um die Ohren pfeift!«
Für Mutter und Sohn Bertone bestand keine Gefahr, sich mit Kohlenmonoxid zu vergiften, überlegt Sandra Möller – schließlich hatten die Stadtwerke ihnen das Gas abgestellt.
Sigrid Bertone setzt sich aufrecht hin und sieht die beiden Kriminalbeamten fest an. » Ich habe Angelo aufgefordert, das Rohr zu verschließen«, sagt sie mit ruhiger Stimme. »Und als wir endlich diese Wohnung hier gefunden hatten und aus der Bruchbude in Biesdorf ausziehen konnten – da haben wir beide einfach nicht mehr an den verstopften Abzug gedacht.«
Sie hält den Kriminalbeamten ihre Hände hin. »Sie müssen uns also schon alle beide verhaften«, fährt Sigrid Bertone fort, »wenn Sie sich nicht trauen, gegen den Verbrecher Grabowski vorzugehen.«
Felix Glatter schüttelt den Kopf und steht auf. »Wir ermitteln in verschiedene Richtungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Im Augenblick haben wir nicht vor, Sie oder Ihren Sohn zu verhaften«, versichert er den Bertones. »Nach unserem derzeitigen Ermittlungsstand hätte die Therme von einem Schornsteinfeger abgenommen werden müssen, bevor sie im Juni wieder in Betrieb gegangen ist. Aber das ist offenbar nicht passiert.«
Sigrid Bertone sieht ihn hoffnungsvoll an. Doch so ganz wohl ist Felix Glatter bei seinen Worten nicht. Er sieht schon die Schwadronen hochbezahlter Juristen vor sich, die Castle Real Estate Management und die Optimal GmbH in Marsch setzen werden, um sich selbst von allen Vorwürfen reinzuwaschen.
Aus der Sicht des Hausverwalters Grabowski sind die beiden Bertones perfekte Sündenböcke …
Tödliche Vögel
Durch defekte Gasthermen kommt es auch heute noch immer wieder zu Unglücksfällen mit tödlicher Kohlenmonoxid-Vergiftung. Für die Sicherheit der Heizungsanlagen sind prinzipiell die Hauseigentümer zuständig. Sie sind gesetzlich verpflichtet, die Heizung durch den jeweiligen Bezirksschornsteinfeger oder – seit 2008 – auch durch ein gleich qualifiziertes Unternehmen aus dem EU-Ausland kontrollieren zu lassen.
Ein Blick in aktuelle Medienberichte zeigt, wie häufig solche Unglücksfälle sind. In einem südfranzösischen Dorf nahe Nizza endete die Christmette im Jahr 2007 beinahe mit einer Katastrophe. 68 Menschen wurden mit Symptomen von Kohlenmonoxid-Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert; 21 von ihnen mussten für einige Zeit künstlich beatmet werden. Ursache war eine defekte Gasheizung.
Weitaus schlimmere Folgen hatte ausströmendes Kohlenmonoxid für die Gäste einer Herberge im östlichen Spanien. Sie wurden im Schlaf tödlich vergiftet. Es handelte sich um die Teilnehmer einer Geburtstagsfeier, die im Februar 2005 aus ganz Spanien angereist waren. Da die Zentralheizung in dem ländlichen Adelspalast aus dem 15. Jahrhundert ausgefallen war, stattete der Gastgeber die
Weitere Kostenlose Bücher