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Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Titel: Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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er hier drinnen überhaupt abgefackelt?«
    Zentimeter für Zentimeter untersuchen die Beamten die Zelle, was für sie alles andere als ein Vergnügen ist. Ebenso wie der tote Körper ist jeder Gegenstand in dem kleinen Raum durch Rauch und Hitze bräunlich-schwärzlich verfärbt. In der Luft hängt ein bestialischer Gestank wie von kalter Grillkohle, die mit Wasser gelöscht worden ist. Rußanhaftungen in der Umgebung finden sich aber nur in der Ecke direkt neben der Toilette. Und gerade dort liegen Überreste eines dicken Zeitungsstapels, der größtenteils verkohlt ist.
    »Okay, anscheinend hat Torgau da in der Ecke mit den Zeitungen einen Schwelbrand gelegt«, kommentiert Bethmann. »Dafür hat er aber ein Feuerzeug oder Streichhölzer gebraucht. Siehst du hier irgendwo so etwas?«
    Jo Caruss deutet auf das Bett. »Direkt neben seiner rechten Hand. Und weißt du, was ich da im Bett noch entdeckt habe?«
    Bethmann schüttelt den Kopf.
    »Eine halb ausgequetschte Tube Zahnpasta, mit abgeschraubtem Deckel«, sagt sein jüngerer Kollege. »Hast du eine Erklärung, was er damit gemacht haben könnte?«
    Der Hauptkommissar geht zur Zellentür und mustert die grünlichen Anhaftungen auf der Türzarge und am Rahmen. Es sind offenbar Überreste eines schmalen Bandes aus einer zähflüssigen Substanz, das ursprünglich den gesamten Rahmen und den äußeren Rand der Tür entlanglief.
    »Es klingt absurd«, antwortet Bethmann, »aber mit der Zahnpasta hat er anscheinend die Türspalten abgedichtet, damit kein Rauch nach draußen dringt. Deshalb haben die Rauchmelder auch nicht angeschlagen.« Er schüttelt verwundert den Kopf. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Woher hat Torgau gewusst, dass man mit Zahncreme eine Stahltür luftdicht und sogar hitzebeständig abdichten kann?«
    Der Hauptkommissar geht zum Regal in der linken hinteren Zellenecke und überfliegt die Buchtitel, soweit sie trotz Räucherung und Löschwasser noch lesbar sind. »Grundkurs Chemie«, murmelt er. »Hoffentlich nicht aus den Beständen der Gefängnisbibliothek.«

    Wenn es im Justizgewahrsam zu einem tödlichen Zwischenfall kommt, stellen die Medien zu Recht kritische Fragen. Vielleicht ist der Tod von Lothar Torgau ja gar kein Suizid? Damit nicht der Schatten eines Zweifels zurückbleibt, werden in Berlin alle Personen obduziert, die in Haft oder in polizeilichem Gewahrsam versterben. Deshalb landet der schwergewichtige Tote fünf Tage nach dem Schwelbrand in Zelle Nr. 113 auf meinem Sektionstisch.
    In seinem Abschiedsbrief, dessen Entzifferung den Kriminaltechnikern schließlich doch noch gelungen ist, spart Lothar Torgau nicht mit Vorwürfen an die Adresse der Justizvollzugsanstalt und der Strafverfolgungsbehörde.
    »Ich gehe mit den Schlaftabletten, die ich vom ärztlichen Dienst verschrieben bekommen habe«, heißt es dort. »Meine gesundheitlichen Probleme wurden NICHT behandelt. 5 x schrieb ich an den psychologischen Dienst, ohne jede Antwort!
    Mein Eilantrag an die Strafverfolgungskammer wurde mir nicht eröffnet. Der Haftaufschub (wegen Haftunfähigkeit wie seit 2006) nicht beschieden, die nehmen mir planmäßig jede Perspektive. Sie haben gesiegt, meinen Glückwunsch.
    Ich hoffe, dass ich es geschafft habe, und habe mir alle Mühe gegeben, dass Dritte nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich habe die Tür abgedichtet, so dass die Sprinkleranlage nicht angeht.«
    Der Vorwurf, der sich gegen den ärztlichen Dienst der JVA richtet, ist nicht ohne Brisanz.
    Laut medizinischen Gutachten litt Torgau an Schlafapnoe, also an wiederkehrendem Atemstillstand während des Schlafs. Der zuständige Arzt in der JVA hat ihm jedoch gegen Schlafstörungen und Unruhezustände ein Medikament mit dem Wirkstoff Zopiclon verschrieben, das laut Beipackzettel für Patienten mit Schlafapnoe nicht empfohlen wird. Kurz vor seinem Tod hat Torgau den Arzt daher sogar wegen »Körperverletzung im Amt« angezeigt.
    Die Obduktion soll nun die Frage beantworten: Ist Lothar Torgau tatsächlich an einer Rauchgasvergiftung – also durch Kohlenmonoxid – gestorben? Oder hat etwas anderes seinen Tod verursacht, zum Beispiel eine Vergiftung mit dem Zopiclon-haltigen Medikament? Lag er vielleicht bereits im Sterben, als sich der Schwelbrand ausbreitete?
    Mein Kollege Dr. Lilienthal und ich führen die Obduktion durch. Wir stellen die typischen äußeren und inneren Befunde einer Kohlenmonoxid-Vergiftung fest, außerdem eine krankhafte Herzvergrößerung und eine

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