Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
irgendwelche Schicksalsschläge erlebt, die ein Motiv geboten hätten. Im Gegenteil: Die Freunde von der Geburtstagsfeier und der Hauptmieter schilderten das Paar als unbekümmert und lebensfroh. Leider etwas zu unbekümmert, ließe sich hinzufügen, was den Umgang mit Holzkohle und offenem Feuer in geschlossenen Räumen angeht.
Weniger offensichtlich war die Motivlage in einem weiteren Fall, der sich im Juli 2007 im Berliner Norden ereignete …
Autogrill
Am Montagmorgen sieben Uhr früh nimmt der Gabelstaplerfahrer Kurt Möhring seine Arbeit auf einem Gewerbehof im äußersten Berliner Norden auf. Er stapelt leere Euro-Paletten in einer Halle am Rand des weitläufigen Geländes. Dabei fällt ihm der betagte Opel Vectra auf, der neben der Halle zwischen zwei rostigen Containern steht. Kurt Möhring ist sich sicher, dass der Wagen dort am Freitag noch nicht gestanden hat. Aus der Entfernung kann er die Umrisse von zwei Personen ausmachen, die allem Anschein nach auf dem Fahrer- und dem Beifahrersitz schlafen. Das Ganze kommt ihm merkwürdig vor. Er spürt den Impuls, sich den Opel näher anzusehen. Aber er will die beiden nicht wecken.
Erst in seiner Mittagspause siegt Möhrings Neugierde. Er geht zu den alten Containern hinüber, umrundet den Wagen und späht hinein.
Auf den Vordersitzen, deren Rückenlehnen in Ruheposition gestellt sind, liegen ein Mann und eine Frau. Beide sind um die vierzig, stark übergewichtig und mit Jeans und Anorak bekleidet. Jeder von ihnen hält ein Plüschtier im rechten Arm. Es sieht aus, als ob sie tief und fest schliefen. Durch die stark verschmutzten Seitenscheiben kann Möhring kaum Einzelheiten erkennen. Aber irgendetwas sagt ihm, dass das seltsam starre Paar in dem Opel Vectra nicht mehr am Leben ist. Er rennt in die Halle zurück und ruft die Polizei an.
Kriminaloberkommissarin Sarah Lichter und Kriminalkommissar Leo Sonntag treffen am Nachmittag desselben Tages auf dem Gewerbehof ein. Ein kriminaltechnisches Team hat den Wagen bereits geöffnet, ein Arzt hat den Tod beider Personen im Wagen festgestellt.
Alle vier Türen des Opel Vectra waren von innen verschlossen. Am Schloss der Beifahrertür finden sich auffällige Einbruchsspuren.
»Das war kein Profi«, sagt Leo Sonntag.
Das Innere des Wagens ist noch immer vom Gestank nach Exkrementen und Erbrochenem erfüllt, vermischt mit dem Geruch kalter Asche.
»Ich glaub’s nicht«, murmelt Sarah Lichter. »Die haben doch nicht etwa in dieser Rostlaube gegrillt?«
Im Fußraum vor den beiden Toten stehen nicht weniger als drei sogenannte Instantgrills, wie man sie in jedem Baumarkt für ein paar Euro pro Stück kaufen kann: Aluminiumschalen mit Grillgitter, die laut Verpackungsaufschrift mit jeweils 500 Gramm leichtentzündlichen Grillkohlenbriketts gefüllt waren. Zwei der Instantgrills stehen im Fußraum vor dem männlichen Toten, der dritte zu Füßen der Frau.
»Grillbare Nahrungsmittel haben wir weder im Fahrzeug noch in der Umgebung gefunden«, berichtet einer der Spurensicherer. »Aber der Brandgeruch und die Sengspuren vorne auf den Bodenmatten lassen vermuten, dass die Instantgrills im Wagen betrieben worden sind.«
Er zeigt Kommissar Sonntag die angeschmorten Matten.
»Brenndauer: zirka 1 Stunde«, liest die Oberkommissarin von der Verpackung eines Instantgrills ab, die auf der Rückbank des Opels liegt.
Auch ein Rucksack konnte im Fond des Wagens sichergestellt worden. Neben dem Schraubenzieher, mit dem die Beifahrertür höchstwahrscheinlich aufgebrochen worden ist, enthält er persönliche Dokumente der beiden Toten.
Laut ihren Personalausweisen heißt der Mann Francis Krapottke, ist 37 Jahre alt und im Ruhrgebiet wohnhaft. Die Frau ist fünf Jahre älter als er, heißt Susan Heidenbacher und ist in Stuttgart gemeldet. Beide tragen billige Kleidung und machen einen ungepflegten Eindruck.
Den erfahrenen Kripobeamten entgeht nicht, dass die Toten deutliche Merkmale einer Kohlenmonoxid-Vergiftung aufweisen. Ihre Körper sind mit teils hell-, teils dunkelroten Leichenflecken bedeckt, die Fingernagelbetten sind hellrötlich verfärbt. Francis Krapottkes Jeans ist im Schritt- und Gesäßbereich durch Urin und Kot verschmutzt. Zeichen äußerer Gewalteinwirkung finden die beiden Kriminalkommissare hingegen nicht.
»Warum und seit wann haben sich die beiden hier in Berlin aufgehalten?«, überlegt die Oberkommissarin. »Wieso sind sie viele hundert Kilometer weit angereist, um sich ausgerechnet auf diesem
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