Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Gewerbehof zu treffen und ein schrottreifes Fahrzeug aufzubrechen?«
Ihr Kollege zuckt mit den Schultern. »Gute Frage«, gibt er zurück.
Dagegen ist der Halter des Fahrzeugs, in dem Francis Krapottke und Susan Heidenbacher umgekommen sind, rasch ermittelt. Es handelt sich um einen 33-jährigen Gelegenheitsarbeiter namens Justin Siebert. Der Mann wohnt in einer Mietwohnung ganz in der Nähe des Gewerbehofs. Und er wirkt ehrlich erschüttert, als ihn die Kriminaloberkommissarin am nächsten Tag in ihrer Dienststelle befragt.
»Ich habe im Supermarkt am Freitag einen Aushang gemacht, um den Wagen zum Verkauf anzubieten«, erklärt Justin Siebert. »Er hat keine Zulassung mehr, deshalb habe ich ihn auf dem Gewerbehof abgestellt. Ich konnte doch nicht ahnen, was diese armen Irren anstellen würden!«
Ob er Francis Kapottke oder Susan Heidenbacher kenne, will Sarah Lichter noch von ihm wissen. Justin Siebert wirft nur einen kurzen Blick auf die Fotografien der beiden Toten und schüttelt energisch den Kopf.
»Nie gesehen«, beteuert er.
Die Ermittler überprüfen seine Angaben und stellen fest, dass Justin Siebert in der Tat am Freitagabend eine Verkaufsofferte am Schwarzen Brett in einem nahe gelegenen Supermarkt plaziert hat. Irgendwelche Verbindungen zwischen ihm und den beiden Ortsfremden, die in seinem Auto ums Leben gekommen sind, finden sie dagegen nicht.
Überhaupt scheint niemand Francis Krapottke oder Susan Heidenbacher in den letzten Tagen vor ihrem Tod bemerkt zu haben, weder auf dem Gewerbehof noch in der Umgebung. Rückfragen bei der Kripo in Stuttgart und Recklinghausen, wo die beiden gemeldet waren, erbringen gleichfalls keine verwertbaren Ergebnisse. Offenbar waren beide Einzelgänger, die am Rand der Gesellschaft lebten und von niemandem vermisst wurden.
Der zuständige Staatsanwalt schließt sich der Empfehlung von Oberkommissarin Sarah Lichter an, die beiden Leichen zu obduzieren.
Drei Tage nach ihrer Auffindung liegen die Körper von Susan Heidenbacher und Francis Krapottke bei uns im rechtsmedizinischen Institut auf den Seziertischen. Beide sind stark fettleibig und weisen bereits erste Zeichen von Leichenfäulnis auf: Die Bauchhaut ist grünlich verfärbt, und stellenweise löst sich die Oberhaut blasig ab.
Die Obduktion erbringt das erwartete Ergebnis: Sowohl das flüssige, kirschrote Leichenblut im Körperinnern als auch die akute Blutstauung der Organe und die lachsrot verfärbte Muskulatur deuten unmissverständlich auf eine Vergiftung durch Kohlenmonoxid hin. Allerletzte Zweifel beseitigt die chemisch-toxikologische Untersuchung: Francis Krapottke weist einen Kohlenmonoxid-Wert von 74 Prozent im Herzblut auf, Susan Heidenbacher lediglich ein Prozent weniger. Anzeichen für schwerwiegende vorherige Erkrankungen finden sich nicht.
Die beiden Kommissare waren während der gesamten Obduktion anwesend – offenbar lassen ihnen die rätselhaften Todesumstände keine Ruhe.
»Wenn du mich fragst«, sagt Leo Sonntag anschließend zu seiner Kollegin, »dann sind die beiden gezielt nach Berlin gekommen, um sich hier zusammen das Leben zu nehmen. Sie haben die Instantgrills gekauft, um sich damit umzubringen, dann haben sie ein Auto gesucht, das sie unbemerkt aufbrechen konnten, und sind zufällig auf den Opel im Gewerbehof gestoßen.«
Sarah Lichter sieht ihn nachdenklich an. »Einen Abschiedsbrief haben wir nicht gefunden«, antwortet sie, »aber trotzdem sieht auch für mich alles nach gezieltem gemeinschaftlichem Suizid aus.«
»Die drei Instantgrills haben sie jedenfalls nicht gekauft, um sich Steaks zu grillen«, führt Leo Sonntag weiter aus, »und bestimmt haben sie die Dinger auch nicht in Gang gesetzt, um sich im Auto zu wärmen. Denn erstens war es das ganze Wochenende über sommerlich warm, und zweitens hätten sie es mit drei qualmenden Grills im Wagen vor lauter Rauch schon nach kürzester Zeit nicht mehr ausgehalten.«
»Vielleicht haben sie ja die Grills draußen angezündet und erst später, als die Briketts nur noch glühten, mit ins Auto genommen?«, überlegt Sarah Lichter.
»Kann auch nicht sein«, entgegnet ihr Kollege prompt. »Hast du schon mal versucht, so eine Aluschale voll glühender Kohle anzufassen? Du würdest dir fürchterlich die Finger verbrennen – und die beiden hatten nicht mal eine Brandblase an den Händen.«
»Okay, schließen wir die Akte«, sagt die Hauptkommissarin. »Auch die Schlafposition der beiden mit den Kuscheltieren im Arm lässt
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