Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
massive Verfettung der Leber. Doch keine dieser beiden Organveränderungen ist für sich allein genommen ursächlich für Torgaus Tod.
Die toxikologischen Untersuchungen ergeben, dass Torgau am Vorabend eine fünffache Überdosis des Zopiclon-haltigen Schlafmittels zu sich genommen hat: fünf der acht Tabletten aus dem Blister, den die Kriminalkommissare auf dem Tisch in seiner Zelle sichergestellt haben.
Aber die erheblichen Mengen an Rußpartikeln in seiner Lunge beweisen, dass das Medikament keineswegs zu einem frühzeitigen Atemstillstand geführt hat. In seiner durch das Schlafmittel induzierten Bewusstlosigkeit hat Torgau vielmehr den stark kohlenmonoxidhaltigen Rauch eingeatmet, den er durch den Schwelbrand erzeugt hat, um sich das Leben zu nehmen. Der Kohlenmonoxidgehalt in seinem Herzblut beträgt 49 Prozent – genug, um einen konstitutionell geschwächten Menschen wie ihn zu töten.
»Der Eintritt des Todes«, heißt es daher abschließend in unserem Sektionsgutachten, »lässt sich als Folge der Aufnahme einer größeren Menge des giftig wirkenden Gases Kohlenmonoxid bei zeitnaher Aufnahme einer erhöhten Zopiclon-Dosis erklären.«
Zwei Lehren lassen sich aus diesem bizarren »Zahnpasta-Suizid« ziehen.
Erstens: Man kann in Menschen nie wirklich hineinschauen – während das erfahrene JVA-Personal überzeugt war, dass sich Lothar Torgau nie geschlagen geben würde, hatte der innerlich bereits kapituliert.
Und zweitens: Ein Mensch, der fest entschlossen ist, sein Leben zu beenden, wird praktisch immer einen Weg finden, um seine Absicht in die Tat umzusetzen. Auch unter staatlicher Kontrolle und behördlicher Aufsicht.
Finales Barbecue
Nur mit vollkommener Ahnungslosigkeit lässt sich wohl erklären, dass ein 35-jähriger Mann in Berlin-Wedding das Liebesnest für sich selbst und seine zwei Jahre ältere Freundin ausgerechnet mit einem Holzkohlengrill etwas lauschiger machen wollte.
Der zur Untermiete lebende Lagerarbeiter hatte im Sommer 2007 auf dem Balkon mit seiner Freundin und weiteren Gästen seinen Geburtstag gefeiert und dabei Steaks und Würste auf dem Grill zubereitet. Es war eine eher kühle Sommernacht, und so endete die Party relativ früh. Die Gäste gingen nach Hause, das Paar zog sich in das Zimmer des Jubilars zurück – und nahm die gusseiserne Grillschale voll glühender Holzkohle mit hinein. Die beiden gingen zu Bett, die Grillschale unmittelbar neben sich – schließlich wollte man es schön gemütlich haben. Und zweifellos wurde es auch gemütlich warm in dem Zimmer der beiden Liebenden, zumal Fenster und Balkontür fest geschlossen waren.
Der Hauptmieter der Wohnung verreiste am nächsten Vormittag, ohne sich zu verabschieden – er nahm an, dass sein Untermieter nach der abendlichen Feier ausschlafen wollte. Erst Tage später, als der Lagerarbeiter nach dem Wochenende nicht zur Arbeit erschien, wurden er und seine Freundin vermisst. Sein Vorgesetzter versuchte vergeblich, ihn telefonisch zu erreichen; Freunde klingelten ergebnislos an der Wohnungstür; schließlich wurde eine Vermisstenanzeige aufgegeben.
Die Streifenbeamten fanden das Paar leblos im Bett, beide unbekleidet, ohne äußere Verletzungen, dafür aber mit den charakteristischen kirschroten Leichenflecken. Im Zimmer war kein Brand- oder Gasgeruch feststellbar, doch die Grillschale mit erkalteten Resten von Holzkohlebriketts und reichlich Asche sprach auch so eine deutliche Sprache. Bei dem Mann, der in Bauchlage quer über dem Bett lag, stellten die Polizisten außerdem Stuhlabgang fest – ein weiteres typisches Zeichen für eine über mehrere Stunden ablaufende Kohlenmonoxid-Vergiftung.
Als die beiden drei Tage nach ihrer Auffindung bei uns im Institut für Rechtsmedizin obduziert wurden, wandelte sich die Vermutung rasch zu Gewissheit: Der Mann wies eine Kohlenmonoxid-Konzentration im Herzblut von über 68 Prozent auf, bei der Frau lag der Wert nur unwesentlich niedriger. Überdies stellten wir die gesamte Palette der für diese Vergiftung typischen Obduktionsbefunde fest.
Im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlung wurde auch überprüft, ob es sich tatsächlich um einen Unglücksfall handelte oder ob das Paar sich absichtlich das Leben genommen hatte. Doch für einen – gemeinschaftlichen oder erweiterten – Suizid gab es in diesem Fall keinerlei Anhaltspunkte. Weder wurde ein Abschiedsbrief gefunden, noch hatten der Mann oder seine Gefährtin an Depressionen gelitten oder
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