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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ihr zuvorkommen würde, so blies sie schnell das Licht aus, in der Annahme, daß ihr die Dunkelheit irgendwie nützlich sein könnte.
    Das war ein Irrtum! Der hereintretende Störenfried hatte einen Leuchter in der Hand.
    Als sie sah, daß sie es nur mit einem kleinen, anscheinend schwächlichen alten Manne zu tun hatte, stürzte ihm Frau Cardinal mit glühenden Augen, wie eine Löwin, der man ihre Jungen rauben will, entgegen.
    »Beruhigen Sie sich, meine Liebe,« sagte der alte Herr spöttisch, »ich habe schon nach der Polizei geschickt, sie wird im Augenblick hier sein.«
    Das Wort »Polizei« fuhr der Frau Cardinal, vulgär gesprochen, in die Beine.
    »Aber, lieber Herr, was soll denn die Polizei?!« sagte sie unruhig, »wir sind doch keine Diebe.«
    »Das ist gleichgültig; aber an Ihrer Stelle würde ich sie nicht abwarten«, sagte der Alte; »sie begeht manchmal peinliche Irrtümer.«
    »Man kann sich also drücken?« sagte die Händlerin und machte ein ungläubiges Gesicht.
    »Ja, sobald Sie das, was sich zufälligerweise in Ihre Taschen verirrt haben sollte, wieder herausgegeben haben.«
    »Ach, mein guter Herr, ich habe doch nichts in der Hand und nichts in den Taschen; ich will doch keinem Menschen ein Unrecht antun; ich bin doch nur hergekommen, um meinen geliebten armen Onkel zu pflegen; Sie können mich ja durchsuchen.«
    »Also verschwinden Sie, es ist gut!« sagte der kleine Alte.
    Die Händlerin ließ sich das nicht zweimal sagen und eilte die Treppe hinunter.
    Cérizet machte Anstalten, ihr zu folgen.
    »Mit Ihnen, mein Herr, ist es etwas anderes«, sagte der Alte zu ihm; »ich habe mit Ihnen zu reden; wenn Sie aber folgsam sein wollen, kann alles gütlich geordnet werden.«
    Sei es, daß das Narkotikum nicht länger wirkte, oder daß der Lärm um ihn herum Toupillier aus seinem Schlaf geweckt hatte, er öffnete die Augen und blickte um sich, wie jemand, der sich erst wieder zurechtfinden will; als er aber bald darauf seinen geliebten Wandschrank offen stehen sah, verlieh ihm die Aufregung die Kraft, mehrmals den Schrei »Diebe!« so laut auszustoßen, daß das ganze Haus davon hätte aufgeweckt werden können. »Nein, Toupillier, nein,« sagte der kleine Alte, »man hat Ihnen nichts gestohlen; ich bin noch zur rechten Zeit gekommen, es ist nichts berührt worden.«
    »Und Sie lassen den Kerl dort nicht festnehmen?« schrie der Bettler und zeigte auf Cérizet.
    »Der Herr ist kein Dieb«, antwortete der Alte; »im Gegenteil, das ist ein Freund, der zu tatkräftiger Unterstützung mit mir heraufgekommen ist.«
    Und, sich an Cérizet wendend, sagte er leise: »Ich denke, mein Lieber, wir werden gut tun, die Unterhaltung, die ich mit Ihnen zu führen wünsche, zu verschieben. Morgen um zehn Uhr werden Sie bei Herrn du Portail, hier im Nebenhause, erscheinen. Nach dem, was sich heute abend hier ereignet hat, würde es für Sie, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, mit gewissen Unannehmlichkeiten verbunden sein, wenn Sie sich dieser Besprechung entziehen wollten; ich würde Sie unfehlbar finden, denn ich habe die Ehre, zu wissen, wer Sie sind; Sie sind der, den lange Zeit die oppositionellen Zeitungen den ›kühnen Cérizet‹ zu nennen pflegten.«
    Trotz der beißenden Ironie des Hinweises auf seine Vergangenheit war Cérizet, der merkte, daß er nicht strenger als Frau Cardinal behandelt werden würde, über diese Lösung doch sehr froh, und nachdem er versprochen hatte, sich zu dem Rendezvous pünktlich einzufinden, beeilte er sich, zu verschwinden.
     
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    Am andern Morgen säumte Cérizet nicht, zu der Unterredung, zu der er geladen war, zu erscheinen.
    Schon vorher durch ein Schiebefenster beobachtet, wurde er, nachdem er seinen Namen genannt hatte, eingelassen und direkt in das Arbeitszimmer du Portails geführt, den er mit Schreiben beschäftigt fand.
    Der kleine Alte machte, ohne aufzustehen, seinem Gaste ein Zeichen, daß er Platz nehmen solle, und fuhr in seinem Briefschreiben fort. Nachdem er dann den Brief gesiegelt und mit einer Sorgfalt und einem Geschick sein Petschaft darauf gedrückt hatte, die entweder auf eine peinlich sorgsame Natur oder auf einen Mann, der diplomatische Funktionen ausgeübt hat, schließen ließen, klingelte du Portail nach Bruno, seinem Kammerdiener, gab ihm den Brief und sagte:
    »Zu dem Herrn Friedensrichter des Bezirks.«
    Dann wischte er die Stahlfeder, deren er sich bedient hatte, sorgfältig ab, ordnete alle benutzten Gegenstände symmetrisch auf

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