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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sich, und beschloß sie mit einer Siesta. Abgesehen von den Aufregungen des Tages, hätte auch schon die Wirkung eines der berauschendsten Weine der Welt genügt, um die Tiefe und Dauer ihres Schlafes zu erklären; als sie erwachte, begann es bereits dunkel zu werden.
    Ihre erste Sorge war, einen Blick auf das Bett des Kranken zu werfen. Er schlief unruhig und sprach aus dem Schlafe.
    »Diamanten?« sagte er, »Diamanten? Erst wenn ich tot bin, früher nicht!«
    »Sieh mal an!« sagte Frau Cardinal, »es fehlte bloß noch, daß er auch noch Diamanten hätte ...« Und da sie sah, daß Toupillier anscheinend unter einem Albdruck litt, so beugte sie sich, anstatt ihm seine Lage zu erleichtern, über seinen Kopf, um keins seiner Worte zu verlieren, da sie hoffte, irgendeine wichtige Aufklärung erhalten zu können. In diesem Augenblick verkündete ein leises Klopfen an der Tür, deren Schlüssel die vortreffliche Krankenpflegerin vorsorglich abgezogen hatte, die Ankunft Cérizets.
    »Nun?« fragte er beim Hereintreten.
    »Nun, er hat die Arznei eingenommen. Seit gut vier Stunden schläft er wie ein Jesuskind. Eben hat er im Traum von Diamanten gesprochen.«
    »Mein Gott,« sagte Cérizet, »es wäre gar nicht so wunderbar, wenn man welche fände. Diese Bettler, wenn sie anfangen wohlhabend zu werden, das bringt alles mögliche zusammen ...«
    »Aber, mein Alterchen,« fragte die Cardinal, »was haben Sie denn gedacht, als Sie der Mutter Perrache sagten, Sie wären mein Sachverwalter und hätten nichts mit der Medizin zu tun? Es war doch heute morgen abgemacht, daß Sie als Doktor kommen würden ...«
    Cérizet wollte nicht eingestehen, daß ihm die Übernahme dieser Rolle bedenklich erschienen war; er hätte gefürchtet, seine Mitschuldige dadurch zu entmutigen.
    »Ich merkte,« antwortete er, »daß die Frau mich konsultieren wollte, und habe mich auf diese Weise losgemacht.«
    »Sehen Sie,« sagte die Cardinal, »schöne Seelen begegnen sich; ich war auch so schlau und habe die Sache eben so gedreht; einen Sachwalter herkommen sehen, das hat der Frau Lederkratzerin zu denken gegeben ... Haben die Perraches Sie hereinkommen sehen?«
    »Mir schien,« antwortete Cérizet, »daß die Frau in ihrem Sessel schlief.«
    »Sie muß auch schlafen«, sagte die Cardinal und machte eine bezeichnende Geberde.
    »Was, wirklich?« fragte Cérizet.
    »Mein Gott,« sagte die Händlerin, »wo für einen was da ist, da ist auch für zwei was da; ich habe sie den Rest der Arznei zu sich nehmen lassen.«
    »Der Mann ist aber da,« bemerkte Cérizet, »denn als er an dem Türöffner zog, hat er mir liebenswürdig zugewinkt, daß er mich kenne, worauf ich gern verzichtet hätte.«
    »Warten Sie nur ab, bis es ganz Nacht geworden ist, da werden wir ihm was vorzaubern!«
    Und tatsächlich spielte eine Viertelstunde später die Händlerin dem naiven Portier mit einer Verve, die den Wucherer in Erstaunen setzte, eine Komödie mit einem »Herrn« vor, der sich nicht hinausbegleiten lassen will, und den man mit Höflichkeitsbezeugungen überhäuft. Während sie so tat, als ob sie den angeblichen Arzt bis zur Haustür geleitete, stellte sie sich, als ob ihr der Wind mitten auf dem Hofe das Licht ausgelöscht hätte, und unter dem Vorwande, es wieder anzünden zu wollen, blies sie das Licht Perraches aus. All dieses Durcheinander, das von Ausrufen und einer betäubenden Geschwätzigkeit begleitet war, wurde so glänzend durchgeführt, daß der Portier vor Gericht unbedenklich beschworen haben würde, der Doktor, den er hatte hereinkommen sehen, sei zwischen neun und zehn Uhr abends wieder von dem Kranken heruntergekommen und habe das Haus verlassen.
    Als die beiden Komplizen so in den ungestörten Besitz ihres Operationsfeldes gelangt waren, machte die Cardinal eine unbeabsichtigte Anspielung auf Béranger, denn sie hängte, als ob es sich darum handele, die Liebesabenteuer Lisettes zu beschirmen, ihren Kaninchenfellumhang wie einen Vorhang vor das Fenster.
    Im Luxembourgviertel wird es abends zeitig still; etwas vor zehn Uhr hören die Geräusche im Hause und ebenso jeder Straßenlärm fast völlig auf. Nur ein Nachbar, der sich in die Lektüre eines Romanfeuilletons vertieft hatte, hielt die Beiden noch einige Zeit im Schach; aber sobald auch er sein Licht gelöscht hatte, war Cérizet der Ansicht, daß man nunmehr an die Arbeit gehen könne. Wenn man ohne weiteren Aufschub begönne, wäre man sicherer, daß der Schläfer noch unter der Wirkung des

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