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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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von seinem Bette aus immer auf die Wand gegenüber stierte.«
    »Ein geheimer Schrank in der Wand? Das wäre nicht unmöglich«, sagte Cerizet und bemächtigte sich in Aufregung des Lichtes.
    Aber als er sorgfältig die Tür des Alkovens gegenüber der Kopfseite des Bettes untersuchte, konnte er nichts als eine dicke Schicht von Staub und Spinnweben feststellen.
    Er versuchte es nun mit dem Gefühlssinn und begann, die Wand nach allen Richtungen hin abzufühlen und zu beklopfen. An der Stelle, auf die Toupillier ständig seinen Blick gerichtet hatte, vernahm er endlich in einem bestimmten Umkreise einen hohlen Ton und gleichzeitig merkte er, daß er auf Holz klopfte. Er rieb nun die Stelle mit seinem zusammengeballten Taschentuche kräftig ab, säuberte sie und entdeckte bald unter der Staubschicht, die er entfernt hatte, ein eichenes, an der Wand hermetisch befestigtes Brett; an der einen Seite dieses Brettes bemerkte er eine kleine runde Öffnung: es war das Schlüsselloch, zu dem der Schlüssel paßte.
    Während Cérizet den Schlüssel herumdrehte, der ohne Schwierigkeit das Schloß öffnete, stand die Cardinal, bleich und mit fliegendem Atem dabei und hielt das Licht; aber welche grausame Enttäuschung! Der geöffnete Wandschrank erwies sich als ein leerer Raum, den die Kerze, die die Händlerin eifrig hineinhielt, vergeblich beleuchtete. Cérizet ließ das Weib, das sich wie toll gebärdete, Verzweiflungsschreie ausstoßen und ihren geliebten Onkel mit den schlimmsten Bezeichnungen, die man erdenken kann, belegen, und bewahrte seine Kaltblütigkeit.
    Nachdem er seinen Arm in die Öffnung gesteckt und ihren Boden beklopft hatte, rief er:
    »Hier ist ein eiserner Schrank!«
    Gleichzeitig fügte er ungeduldig hinzu:
    »Leuchten Sie mir doch, Frau Cardinal!«
    Und da das Licht den Raum, den er untersuchen wollte, nicht hell genug beleuchtete, riß er die Kerze aus dem Flaschenhalse, in dem sie die Cardinal mangels eines Leuchters befestigt hatte, nahm sie selbst in die Hand und prüfte damit sorgfältig alle Stellen der eisernen Platte, die er eben entdeckt hatte.
    »Kein Schlüsselloch zu finden!« sagte er nach peinlichster Prüfung; »es muß hier ein Geheimnis vorliegen.«
    »Ist das ein Betrüger, der alte Filz!« sagte Frau Cardinal, während Cérizet mit seinen knochigen Fingern auf jede einzelne Stelle drückte.
    »Ah!« rief er endlich, nach mehr als halbstündigen Versuchen, »jetzt habe ichs!«
    Während dieser Zeit stand Frau Cardinal wie leblos dabei.
    Unter dem Druck der Hand glitt die eiserne Platte schnell in die Mauer hinein, und mitten in einem Haufen von Goldstücken, der einfach in die nun bloßgelegte Öffnung hineingeworfen war, zeigte sich ein Etui von rotem Maroquinleder, das, nach seiner Größe zu schließen, eine herrliche Beute enthalten mußte.
    »Ich nehme die Diamanten als Mitgift«, sagte Cérizet, nachdem er den prachtvollen Schmuck, der in dem Etui lag, betrachtet hatte. »Sie, Mutterchen, würden ja doch nicht wissen, wie sie ihn losschlagen sollen; ich lasse Ihnen die Goldstücke als Ihren Anteil. Was die Rente und das Haus anlangt, so lohnt es nicht der Mühe, daß man sich anstrengt, den guten Mann zu einem andern Testament zu bestimmen.«
    »Sachte, mein Junge!« erwiderte die Cardinal, die diese Teilung etwas zu summarisch fand, »zunächst wollen wir mal den Wert einzeln feststellen.«
    »Pst!« machte Cérizet, der auf etwas zu horchen schien. »Was ist denn?« fragte die Cardinal. »Haben Sie nicht gehört, daß sich jemand hier unter uns bewegt?«
    »Ich habe nichts gehört«, antwortete die Händlerin.
    Cérizet machte ihr ein Zeichen, daß sie schweigen solle und horchte noch aufmerksamer hin.
    »Ich höre Schritte auf der Treppe«, sagte er bald darauf.
    Schnell legte er das Etui in den eisernen Schrank zurück und versuchte, die Platte wieder vorzuschieben. Während er vergebliche Anstrengungen machte, kamen die Schritte näher.
    »Wahrhaftig, es kommt jemand herauf!« sagte die Cardinal entsetzt.
    Dann klammerte sie sich an einen rettenden Gedanken und setzte hinzu:
    »Ach, das ist wahrscheinlich die Verrückte; man sagt, daß sie nachts herumgeht.«
    Die Verrückte mußte jedenfalls einen Schlüssel zu dem Zimmer besitzen, denn im Augenblick darauf wurde dieser Schlüssel ins Schloß gesteckt. Mit einem raschen Blicke maß die Cardinal die Entfernung, die sie von der Tür trennte; würde sie noch Zeit haben, den Riegel vorzuschieben? Da sie aber erkannte, daß man

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