Die Kleinbürger (German Edition)
Gegnerin gefunden und sucht unruhig nach einer verwundbaren Stelle bei ihr.« »Weiß Gott,« sagte Frau Phellion, »das ist ihm recht! Seit einiger Zeit hat dieser Herr, der sich früher so bescheiden und unterwürfig benahm, jetzt Herrschermanieren in dem Hause angenommen, die unerträglich sind: er spielt sich schon ganz offen als Schwiegersohn auf; und bei der Wahlaffäre Thuilliers hat er uns, alles in allem, sämtlich an der Nase herumgeführt, damit wir ihm als Fußschemel für seine Heiratswünsche dienten.«
»Ja,« sagte Minard, »aber augenblicklich ist unser Mann, wie ich Ihnen versichern kann, stark im Preise gesunken. Zunächst wird er nicht alle Tage seinem ›Freundchen‹, wie er ihn nennt, ein Grundstück im Werte von einer Million für ein Butterbrot verschaffen können.«
»Haben sie denn das Haus so billig bekommen?« fragte Frau Phellion.
»Umsonst haben sie's bekommen, und zwar infolge einer unsauberen Intrige, von der mir der Anwalt Desroches neulich erzählte, und die, wenn sie zur Kenntnis der Advokatenkammer gelangte, den Herrn Advokaten stark kompromittieren würde. Dann stehen die Kammerwahlen bevor. Unserm guten Thuillier ist der Appetit beim Essen gekommen, aber er merkt schon, daß der Herr la Peyrade, wenn es sich darum handelt, ihm diesen Bissen zurecht zu schneiden, uns nicht wieder so leicht wird zum Narren halten können. Deshalb hat man sich der Frau von Godollo zugewendet, die hohe Beziehungen in der politischen Welt zu haben scheint. Übrigens macht sich, abgesehen von diesen, ja noch in der Ferne liegenden Ansprüchen, die Gräfin von Godollo Brigitte von Tag zu Tag unentbehrlicher; denn das muß man zugeben: ohne den Beistand der vornehmen Dame würde das arme Mädchen in ihrem prächtigen Salon sich wie ein Lumpen inmitten der Ausstattung einer Neuvermählten ausnehmen.«
»Oh, Herr Bürgermeister,« sagte Frau Phellion geziert, »Sie sind hart!«
»Nein, wahrhaftig,« fuhr Minard fort, »Hand aufs Herz, ist Brigitte, ist Frau Thuillier imstande, in ihrem Salon zu empfangen? Die Ungarin ist es, die die ganze Wohnung arrangiert hat; sie ist es, die ihnen den Diener besorgt hat, dessen gute Haltung und Gewandtheit Ihnen aufgefallen sein wird; sie ist es, die gestern das Menü zusammengestellt hat, und sie spielt auch die Vorsehung für diese Kolonie, die ohne ihr Eintreten das Gelächter des ganzen Viertels erregt haben würde. Was aber andererseits auffällt: diese Fremde, die nicht, wie Sie zuerst glaubten, ein Parasit in der Art des Provenzalen ist, und die selbst ein hübsches Vermögen zu besitzen scheint, zeigt sich nicht nur uneigennützig, sondern sogar freigebig. So sind die beiden Kleider Brigittes und der Frau Thuillier, die Ihnen allen aufgefallen sein werden, meine Damen, ein Geschenk, das sie ihnen gemacht hat, und nur weil sie selbst die Toilette unserer beiden Gastgeberinnen angeordnet hat, sind sie zu Ihrem Erstaunen gestern nicht in ihrer sonstigen Art aufgeputzt gewesen.«
»Aber,« sagte Frau Phellion, »was beabsichtigt sie denn mit dieser mütterlichen Hingebung und Vorsorge?«
»Meine Liebe,« sagte Phellion feierlich, »der Beweggrund für die Handlungen der Menschen ist, Gott sei Dank, nicht immer der Egoismus und der niedrige Eigennutz. Es gibt noch Gemüter, denen es Freude macht, das Gute um seiner selbst willen zu tun. Diese Dame hat in unsern Freunden vielleicht Leute gesehen, die im Begriffe standen, sich in eine Sphäre zu verirren, deren Höhe sie unterschätzt hatten, und indem sie ihren ersten Schritten durch den Ankauf des Mobiliars beigestanden hatte, wird sie später, so wie eine Amme an ihrem Säugling hängt, Gefallen daran gefunden haben, ihnen die Milch ihrer Winke und Ratschläge im Überfluß zu spenden.«
»Er tut immer so, als ob er keine Fliege töten könnte, Ihr guter Mann,« sagte Minard zu Frau Phellion, »und jetzt macht er, wie Sie sehen, die bissigsten Bemerkungen!«
»Ich und bissig?« sagte Phellion; »das entspräche weder meinen Absichten noch meinen Gewohnheiten.«
»Man kann es aber doch kaum deutlicher ausdrücken, daß die Thuilliers Schafsköpfe sind, und daß die Frau von Godollo sie aufpäppeln muß, wie kleine Kinder.«
»Ich kann eine solche, ihren Ruf antastende Qualifizierung unserer Freunde nicht zugeben«, sagte Phellion. »Ich habe nur sagen wollen, daß es ihnen vielleicht an Erfahrung fehle, und daß die vornehme Dame ihnen mit ihren Kenntnissen und ihrer Weltgewandtheit zur Seite stehe; aber
Weitere Kostenlose Bücher