Die Kleinbürger (German Edition)
seinen Bemühungen und Illusionen zu Ende ist, mit seinen Zukunftserwartungen unter allen Umständen ein Kompromiß schließt. Wenn nun dieses Ende sich in der Gestalt eines jungen Mädchens darbietet, das, wie ich zugebe, mehr Tugend als Schönheit besitzt, das aber seinem Gatten das für das Wohlergehen jeder Ehe unerläßliche Vermögen mitbringt, was ist da Erstaunliches, wenn das Herz sich aus Dankbarkeit gefangen gibt und die Wahrscheinlichkeit eines friedlichen Glücks, das sich ihm darbietet, willkommen heißt?«
»Ich dachte immer,« antwortete die Gräfin, »daß die Höhe der Intelligenz der Maßstab für den Ehrgeiz sein müsse, und ich stellte mir vor, daß ein Mann, der klug genug ist, um zunächst nur ein Armenadvokat sein zu wollen, weniger bescheidene und idyllische Ansprüche stelle.«
»Ach, gnädige Frau,« entgegnete la Peyrade, »die eiserne Hand der Notwendigkeit bringt noch viel erstaunlichere Resignationen zuwege; vor der Not um das tägliche Brot muß alles andere schweigen und zurücktreten. War Apollo ›um des Lebensunterhaltes willen‹ nicht genötigt, sich dem Admet als Hirt zu verdingen?«
»Die Schäferei Admets«, warf Frau von Godollo ein, »war doch wenigstens eine königliche Schäferei; aber sicher hätte Apollo sich nicht herabgelassen, die Schafe zu hüten bei einem ... Bourgeois.« Die Pause vor dem letzten Worte zeigte an, daß die schöne Fremde eigentlich einen Eigennamen hatte nennen wollen, und la Peyrade begriff, daß es Thuillier aus reiner Gutmütigkeit erspart blieb, in der Begründung zu figurieren, die sich auf die Gattung beschränkte und das Individuum beiseite ließ.
»Ich glaube, gnädige Frau, daß Ihre Unterscheidung ebenso wahr wie feinsinnig ist,« antwortete la Peyrade, »aber es ist hier nicht Apollo, der zu wollen hat.«
»Ich liebe die Leute nicht, die sich überschätzen,« bemerkte die Gräfin trocken, »aber noch weniger liebe ich die, die ihre Ware unterm Preis verkaufen; ich habe immer Angst, daß sie mich durch irgendeine gerissene komplizierte Schwindelei täuschen wollen. Sie, mein Herr, kennen Ihren Wert recht gut, und Ihre gespielte Untertänigkeit mißfällt mir im höchsten Grade; sie beweist mir, daß meine wohlwollenden Eröffnungen noch nicht einmal zu einem Anfang von Vertrauen zwischen uns geführt haben.«
»Ich schwöre Ihnen, gnädige Frau, daß der Verlauf meines Lebens mir bisher noch keine Veranlassung gegeben hat, irgendwie an meine hervorragende Überlegenheit zu glauben.«
»In der Tat,« sagte die Ungarin, »man muß wohl einen Mann für bescheiden halten, der sich mit der bedauernswerten Lösung zufrieden gibt, der ich entgegenzutreten versucht habe.«
»Genau so,« bemerkte la Peyrade fein, »wie man eine wohlwollende Gesinnung für echt halten muß, die mich bisher so grausam gezüchtigt hat.«
Die Ungarin warf ihrem Besucher einen vorwurfsvollen Blick zu; ihre Hand zerknüllte ein Band ihres Kleides, sie schlug die Augen nieder und seufzte, aber so unmerklich und so leise, daß es nur wie eine Unterbrechung ihres regelmäßigen Atmens erschien.
»Sie sind nachtragend«, sagte sie, »und beurteilen die Menschen einseitig. Aber nach allem«, fügte sie, wie nach einer Überlegung, hinzu, »haben Sie vielleicht Recht, mich daran zu erinnern, daß ich die ungeeignetsten Mittel gewählt habe, um mich in Dinge zu mischen, die mich nichts angehen. Also schreiten Sie weiter vorwärts, mein lieber Herr, auf dem Wege zu Ihrer ruhmvollen Heirat, die Sie in jeder Beziehung für so passend halten, und lassen Sie mich Ihnen nur wünschen, daß Sie einen Sieg nicht zu bereuen haben werden, den ich nicht mehr aufzuhalten versuchen werde.«
Mit Liebesabenteuern war der Provenzale bisher nicht verwöhnt worden. Das Elend, mit dem er so lange gekämpft hatte, bringt Einem nicht gerade galante Beziehungen entgegen, und seitdem er den harten Zwang von sich abgeschüttelt hatte, war er mit aller Sorgfalt nur darauf bedacht gewesen, sich eine Zukunft zu gründen, und hatte, abgesehen von der kleinen Komödie mit Frau Colleville, Herzensangelegenheiten nur einen sehr geringen Platz in seinem Dasein eingeräumt. Wie alle stark beschäftigten Männer, die trotzdem vom Dämon des Fleisches besessen sind, begnügte er sich mit der elenden käuflichen Liebe, die man abends an der Straßenecke aufliest und die sich andererseits so bequem mit äußerlicher Frömmigkeit vereinbaren läßt. Man kann sich also vorstellen, wie perplex dieser
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