Die Kleinbürger (German Edition)
vor allem festzuhalten verstehen, wenn sie sich einem darbietet.«
Damit erhob sie sich hoheitsvoll.
La Peyrade begriff, daß er zuletzt ihr Mißfallen erregt hatte und daß er verabschiedet wurde; er stand auf, verneigte sich respektvoll und bat um die Gunst, zuweilen empfangen zu werden.
»Mein Herr,« antwortete Frau von Godollo, »bei uns Ungarn, die wir noch einfache und fast barbarische Menschen sind, wird eine Tür mit beiden Flügeln geöffnet; wenn wir sie aber schließen, dann geschieht es mit doppeltem Verschluß.«
Diese würdevolle doppelsinnige Antwort war von einer leichten Kopfneigung begleitet. Betäubt und verwirrt von dieser Art sich zu geben, die ihm so neu war und der Flavias, Brigittes und Frau Minards so wenig glich, entfernte sich la Peyrade und fragte sich, ob er klug gehandelt habe.
Nachdem er Frau von Godollo verlassen hatte, empfand la Peyrade das Bedürfnis, sich zu sammeln. Was war hinter der Unterhaltung, die er eben mit dieser merkwürdigen Frau gehabt hatte, versteckt: eine Falle oder eine reiche Partie für ihn? Im Zweifel hierüber würde es weder klug noch vorsichtig sein, Celeste zur Erklärung zu drängen; eine solche Lösung herbeiführen, das bedeutete gleichzeitig, daß auch er sich binde und die Tür vor den noch unbestimmten Aussichten, die sich ihm vielleicht eröffnet hatten, verschließe.
Das Ergebnis der Überlegungen, die Theodosius, während er über den Boulevard schritt, anstellte, war, daß er zunächst nur daran denken dürfe, Zeit zu gewinnen; anstatt daher Thuillier aufzusuchen, begab er sich nach Hause und verfaßte folgendes Schreiben:
»Mein lieber Thuillier!
Du wirst es gewiß merkwürdig gefunden haben, daß ich heute nicht bei Dir erschienen bin; aber abgesehen davon, daß ich mich vor dem Ausfall der Entscheidung fürchte, möchte ich auch nicht als drängender und rücksichtsloser Gläubiger auftreten. Auf einige Tage mehr oder weniger kommt es bei dieser Angelegenheit nicht an, aber Fräulein Colleville kann vielleicht Wert darauf legen, um in voller Freiheit ihre Entscheidung treffen zu können. Ich komme also erst zu Dir, wenn Du mir schreibst. Ich bin wieder ein wenig ruhiger geworden und habe einige weitere Seiten an unserem Manuskript geschrieben; es bedarf nur noch kurzer Zeit, bis wir in der Lage sind, es vollendet dem Drucker zu übergeben.
Ganz der Deinige
Theodosius de la Peyrade.«
Zwei Stunden später brachte, in einer Kleidung, die offenbar einen Übergang zu einer Livree, zu der man sich noch nicht hatte entschließen können, vorstellen sollte, der »männliche« Dienstbote, von dem Minard erzählt hatte, folgende Antwort:
»Komm unbedingt heute abend; wir wollen über all das mit Brigitte reden.
Dein herzlich ergebener
Jérôme Thuillier.«
»Schön,« sagte sich la Peyrade, »die Sache scheint nicht glatt zu gehen; ich habe dann die Möglichkeit, mich zurückzuziehen.«
Am Abend, als er sich bei Thuillier melden ließ, erhob sich die Gräfin von Godollo, die gerade bei Brigitte war, eilig und entfernte sich. Als sie dem Advokaten begegnete, grüßte sie ihn förmlich. Irgend etwas Bestimmtes ließ sich aus diesem brüsken Auftreten, das alles Mögliche bedeuten konnte, nicht schließen.
Nachdem man sich ein wenig über Regen und schönes Wetter unterhalten hatte, wie es die Leute zu tun pflegen, die zusammengekommen sind, um irgendeine kitzliche Angelegenheit zu besprechen, über die sie nicht sicher sind, ein Einverständnis zu erzielen, sagte Brigitte, die ihren Bruder auf einen Boulevardspaziergang geschickt hatte, mit dem Bemerken, er solle sie nur machen lassen:
»Es ist sehr nett von Ihnen, mein Junge, daß Sie nicht wie ein Räuber gekommen sind und uns die Pistole auf die Brust gesetzt haben, denn wir waren noch nicht so weit, um Ihnen einen Bescheid geben zu können. Ich glaube,« fügte sie hinzu, indem sie sich eines Ausdrucks aus ihrem früheren Gewerbe einer Geldverleiherin bediente, »daß Celeste eine kleine Prolongation braucht.«
»Also«, sagte la Peyrade lebhaft, »hat sie sich noch nicht für Herrn Felix Phellion entschieden?«
»Spitzbube!« sagte die alte Jungfer, »gestern abend haben Sie was Schönes angerichtet; Sie wissen doch recht gut, daß sie sich ein bißchen dieser Seite zuneigt.«
»Wenn man nicht blind ist,« sagte der Advokat, »muß man das ja sehen!«
»Das wäre übrigens für meine Absichten kein Hindernis,« fuhr Fräulein Thuillier fort, »aber es ist der Grund, weshalb
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