Die Kleinbürger (German Edition)
in der Komödie gespielt, in der ihm selbst die Rolle des Dummkopfs zugefallen war; oder es war eine Abenteurerin erster Klasse, die von du Portail bezahlt wurde und Agentin bei seiner Eheintrige geworden war. Also entweder ein schlechtes Leben oder ein schlechtes Herz: eine von diesen beiden Bezeichnungen mußte auf diese gefährliche Sirene zutreffen, und im einen wie im andern Falle hatte sie anscheinend keinen sehr großen Anspruch auf das Mitleid ihres Opfers.
Aber man muß sich an die Stelle dieses Kindes der Provence setzen, mit seinem heißen Blut und glühenden Empfinden, das zum erstenmal im Leben eine von kostbaren Düften und Spitzen umgebene Liebe vor sich sah und den Trank der Leidenschaft aus einem Becher von getriebenem Golde trinken zu können glaubte. So wie man nach dem Erwachen noch eine Weile tief bewegt unter dem Eindruck des Traumes in das verliebt bleibt, was nichts als ein Schatten war, so bedurfte la Peyrade aller seiner seelischen Energie, um die Erinnerung an die perfide Gräfin abzuschütteln. Oder, besser gesagt: er hörte zwar nicht auf, sich nach ihr zu sehnen; nur bemühte er sich, für sein heißes Verlangen einen vernünftigen Vorwand zu suchen, um sie wiederzufinden; er nannte dieses Verlangen Neugier, Rachedurst und stellte deshalb folgende scharfsinnigen Erwägungen an:
Cérizet hat mir von einer reichen Erbin gesprochen; die Gräfin erklärt mir in ihrem Briefe, daß die ganze Intrige, die sie gegen mich gesponnen hat, eine reiche Heirat für mich bezweckte: reiche Heiraten, die man Einem an den Kopf wirft, pflegen nicht so wild zu wachsen, daß sich mir innerhalb weniger Wochen diese Aussicht zweimal bieten könnte: also muß die Partie, die mir Cérizet angetragen hat, und die, die sich mir jetzt darbietet, dieselbe Verrückte sein, die ich eigentümlicher Weise durchaus heiraten soll; also muß Cérizet, der mit im Komplott ist, die Gräfin kennen; also kann ich durch ihn der Ungarin auf die Spur kommen. In jedem Falle werde ich näheres über die merkwürdige Art, wie man über mich verfügen will, erfahren; anscheinend muß eine Familie, die so vornehme Marionetten tanzen lassen kann, eine hervorragende Stellung in der Gesellschaft einnehmen: also ich muß unbedingt Cérizet aufsuchen.
Und er suchte Cérizet auf.
Seit dem Diner im ›Rocher de Cancale‹ waren sich die beiden früheren Freunde nicht wieder begegnet. Ein- oder zweimal hatte la Peyrade bei den Thuilliers, wo Dutocq wegen der entfernten Lage ihrer neuen Wohnung nur wenig hinkam, den Gerichtsvollzieher beim Friedensgericht gefragt, was sein Sekretär mache.
»Er spricht nie von Ihnen«, hatte Dutocq geantwortet.
Woraus zu schließen war, daß das Haßempfinden, das ›manet alta mente repostum‹, bei dem rachsüchtigen Wucherer noch sehr lebendig war.
La Peyrade ließ sich von diesem Bedenken nicht anfechten. Er wollte ja überhaupt keinen Dienst von ihm erbitten: er ging zu ihm unter dem Vorwande, in einer Angelegenheit wieder anzuknüpfen, an der Cérizet beteiligt war; und Cérizet beteiligte sich niemals an einer Sache, bei der sein Interesse nicht in Frage kam. Er konnte also eher auf einen sehr freundlichen und liebenswürdigen, als auf einen unhöflichen Empfang rechnen. Im übrigen entschloß sich der Advokat, den Sekretär in seinem Amtsbureau aufzusuchen; das sah weniger wie ein Besuch aus, als wenn er zu ihm in das Loch in der Rue des Poules gegangen wäre, das nichts sehr Einladendes hatte.
Es war ungefähr zwei Uhr, als la Peyrade das Gebäude des Friedensgerichts im zwölften Bezirk betrat. Er durchschritt einen ersten Raum, in dem eine Menge von Leuten wartete, die wegen Beurkundungen, Testamentseröffnungen, Beglaubigungen, Sühneterminen, Streitigkeiten zwischen Herrschaft und Gesinde, zwischen Hausbesitzern und Mietern, zwischen Kunden und Lieferanten und endlich wegen Polizeiübertretungen ständig bei dem Richter erster Instanz zu tun hatten.
Ohne sich in diesem Warteraum aufzuhalten, begab sich la Peyrade in den zweiten Raum, der vor dem Arbeitszimmer des Gerichtsvollziehers lag. Hier war Cérizet an einem schlechten Schreibtisch aus schwarz gewordenem Holz, gegenüber dem Platze eines kleinen Schreibers, der augenblicklich nicht zugegen war, mit Schreiben beschäftigt.
Als er den Advokaten eintreten sah, warf ihm Cérizet einen bösen Blick zu und sagte, ohne aufzustehen und ohne die Reinschrift eines Urteils, mit der er beschäftigt war, zu unterbrechen:
»Sieh mal an, da ist
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