Die Kleinbürger (German Edition)
seines Bureaus, Namens Fleury, und bot ihm die Stelle als verantwortlicher Redakteur an. Als alter Soldat, der gut schoß und gewandt focht, mußte dieser Fleury ein ausgezeichneter Sitzredakteur für die Zeitung sein. Nicht wenig bewandert in der Kunst, »Gläubiger an der Nase herumzuführen«, war er im Finanzministerium als erster auf die geniale Idee gekommen, seinerseits vorgeschobene Ansprüche auf sein Gehalt geltend machen zu lassen, um die wirklichen Ansprüche, die erhoben werden konnten, hinfällig zu machen. Dasselbe Verfahren wurde jetzt angewandt, um die dreiunddreißigtausenddreihundertdreiunddreißig Franken Kaution, die nach der gesetzlichen Vorschrift auf seinen Namen gestellt werden mußten, vor jedem Zugriff zu schützen. Da die Zeitung nun definitiv gegründet war, vorbehaltlich der Hinzuziehung einiger Mitredakteure, die man später finden würde und die la Peyrade dank seiner gewandten Feder vorläufig entbehren konnte, wurde die erste Nummer herausgegeben.
Thuillier begann nun wieder seine Nachforschungen quer durch Paris, wie er sie schon bei der Publikation seiner Broschüre unternommen hatte. Er ging in die Lesekabinette und die Cafés, fragte nach dem »Echo de la Bièvre«, und wenn er meistens die unglückliche Antwort erhielt, daß man diese Zeitung nicht kenne, so rief er aus:
»Das ist ja unglaublich! Eine Firma, die etwas gelten will, und hält ein so verbreitetes Blatt nicht!«
Und er entfernte sich mit verächtlicher Miene, ohne zu merken, daß man an vielen Stellen, wo diese Geschäftsreisendentricks bekannt waren, nur Notiz von ihm nahm, um ihn auszulachen.
Am Abend des Tages, an dem der Eröffnungsartikel erschien, war, obwohl es kein Sonntag war, in Brigittes Salon eine große Gesellschaft versammelt. Mit la Peyrade, den ihr Bruder zum Essen mitgebracht hatte, wieder ausgesöhnt, erklärte ihm die alte Jungfer, daß sie seinen Artikel, ohne Schmeichelei gesagt, für fabelhaft »fein« hielte. Übrigens war das Publikum, nach dem, was die Besucher sagten, zu urteilen, von der am Morgen erschienenen Nummer entzückt.
Man weiß, was der Ausdruck »Publikum« bedeutet: für jeden, der etwas Gedrucktes in die Welt schickt, setzt sich das Publikum aus fünf bis sechs Vertrauten zusammen, die sich mit dem Autor verfeinden würden, wenn sie sich davon drücken wollten, von seinen Verlautbarungen Kenntnis zu nehmen.
»Ich muß sagen,« rief Colleville, »das ist der erste politische Artikel, bei dessen Lektüre ich nicht eingeschlafen bin.«
»Dieser Artikel,« sagte Phellion, »verbindet unzweifelhaft, wie mir scheint, Kraft mit einem Attizismus, den man vergeblich bei irgendeinem andern Redakteur der öffentlichen Blätter suchen würde.«
»Ja,« sagte Dutocq, »er liest sich sehr gut; und dann zeigen die Wendungen einen Stil, wie ihn nicht der erste Beste zu schreiben vermag. Aber man muß das lesen, um es zu ›genießen‹. Ich glaube, das ›Echo de la Bièvre‹ wird morgen von den andern Zeitungen heftig angegriffen werden.«
»Oh, das wünschen wir ja gerade!« sagte Thuillier, »und wenn die Regierung uns die Freundlichkeit erweisen wollte, es zu beschlagnahmen ...«
»Ich danke bestens, mein Gönner!« sagte Fleury, den Thuillier ebenfalls zum Essen mitgebracht hatte, »ich möchte doch lieber nicht so schnell zur Ausübung meiner Funktionen veranlaßt werden.«
»Oh, beschlagnahmt! ...« bemerkte Dutocq, »beschlagnahmt werdet ihr nicht werden; aber ich denke, die ministeriellen Zeitungen werden eine volle Breitseite gegen euch abfeuern.«
Am andern Morgen war Thuillier schon von acht Uhr an auf der Redaktion, um als erster diese Salve entgegenzunehmen. Aber nachdem er alle Zeitungen durchgesehen hatte, mußte er feststellen, daß von dem »Echo de la Bièvre« nicht mehr die Rede war, als wenn es überhaupt nicht existiert hätte.
Als la Peyrade ankam, fand er seinen unglücklichen Freund ganz bestürzt vor.
»Wundert dich das?« sagte der Provenzale ruhig; »ich habe gestern euren Voraussagungen über einen heißen Kampf mit der Presse nicht widersprochen; aber ich wußte wohl, daß heute früh kein Wort über uns geschrieben sein würde. Besteht denn nicht gegen jede Zeitung, deren Debüt etwas Lärm macht, stets vierzehn Tage, und manchmal einen Monat lang die »Verschwörung des Totschweigens«?«
»Die Verschwörung des Totschweigens?« wiederholte Thuillier voller Staunen.
Er wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, aber ihm imponierte an dem Worte
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