Die Kleinbürger (German Edition)
Felix eifrig, »der Kontrakt ist nicht unterzeichnet worden?«
»Nicht einmal verlesen, mein Freund, denn plötzlich wurde gemeldet, daß der Notar nach Brüssel abgereist sei.«
»Gewiß wegen einer wichtigeren Sache«, sagte Phellion naiv.
»Wegen der allerwichtigsten,« antwortete Minard, »wegen eines kleinen Bankrotts von fünfhunderttausend Franken, das der Herr hinterlassen hat.«
»Aber wer ist denn dieser Beamte,« fragte Phellion, »der in so skandalöser Art den heiligen Pflichten seines Berufs untreu geworden ist?«
»Wer? Ihr Nachbar in der Rue Saint-Jacques, der Notar Dupuis.«
»Wie?« sagte Frau Phellion, »ein so frommer Mann und Kirchenältester!«
»Ja, verehrte Frau,« bemerkte Minard, »die haben es gerade am eiligsten; ... er hat auch schon Vorgänger gehabt.«
»Aber diese Nachricht,« sagte Phellion, »so mitten in eine Privatgesellschaft hineinplatzend, hat ja wie ein Donnerschlag wirken müssen.«
»Und zwar um so mehr,« erklärte Minard, »als sie in der unerwartetsten und eigenartigsten Weise verkündet wurde.«
»Erzählen Sie uns das doch!« sagte Frau Phellion lebhaft.
»Anscheinend«, fuhr Minard fort, »sind diesem tugendsamen Spitzbuben die Ersparnisse einer großen Anzahl von Dienstboten anvertraut gewesen, und Herr la Peyrade – alle diese Scheinheiligen, wissen Sie, das ist ein und dieselbe Clique – gab sich Mühe, ihm die Kapitalien dieser Kreise zuzuführen.«
»Ich habe es ja immer gesagt,« unterbrach ihn Frau Phellion, »daß an diesem Provenzalen kein gutes Haar ist.«
»So hat er auch«, fuhr der Bürgermeister fort, »bei Herrn Dupuis für Rechnung einer alten Wirtschafterin, ebenfalls solch einer Scheinheiligen, ein Sümmchen untergebracht, das wahrhaftig schon der Mühe lohnte: fünfundzwanzigtausend Franken; diese Wirtschafterin nun, eine gewisse Frau Lambert ...«
»Frau Lambert?« unterbrach ihn Felix seinerseits, »aber das ist ja die Wirtschafterin von Herrn Picot: anschließende Haube, blasses mageres Gesicht, spricht immer mit niedergeschlagenen Augen und zeigt niemals ihr Haar.«
»Eben diese,« sagte Minard, »das richtige Muckergesicht.«
»Fünfundzwanzigtausend Franken Ersparnisse!« sagte Felix, »nun wundere ich mich nicht mehr, daß der arme Vater Picot immer in Geldverlegenheit war.«
»Und daß man sich«, bemerkte Minard mit schlauer Miene, »um den Verkauf seiner Bücher kümmern mußte ... Wie dem auch sei, Sie können sich vorstellen, daß dieses Weib, als sie von der Flucht des Notars hörte, nicht mehr wußte, wo ihr der Kopf steht. Sie rennt sofort zu la Peyrade; dort hört sie, daß er zum Diner und zur Soiree bei Thuilliers ist, deren Adresse man ihr nicht genau angibt, so daß sie, nachdem sie den ganzen Abend herumgeirrt ist, um zehn Uhr, während man eine ewige Zeit im Salon damit verbrachte, sich anzustarren, ohne zu wissen, was man sagen oder machen solle, denn weder Brigitte noch Thuillier sind dazu angetan, über solch eine üble Situation hinwegzuhelfen, und wir hatten, um uns das Warten zu versüßen, weder die Stimme der Frau Godollo, noch das Talent der Frau Phellion zu unsrer Verfügung ...«
»Oh, Sie sind zu freundlich, Herr Bürgermeister«, sagte Frau Phellion geziert.
»Also um zehn Uhr«, fuhr Minard fort, »erscheint endlich Frau Lambert im Vorzimmer des Herrn Generalrats und verlangt in großer Aufregung den Herrn Advokaten zu sprechen.«
»Das ist ganz natürlich«, sagte Phellion; »von ihm, als dem Vermittler der Anlage, war die Frau berechtigt, Rechenschaft zu verlangen.«
»Nun sollen Sie sehen, was das für ein Tartüff ist!« fuhr Minard fort. »Kaum hinausgegangen, kehrt er schon wieder zurück und teilt die Neuigkeit mit. Und da alles nichts lieber wollte, als aufbrechen, entstand eine allgemeine Flucht; was tut nun unser Mann? Er geht wieder zu Frau Lambert hinaus, die er im Vorzimmer gelassen hat, und da die gute Frau nicht aufhört zu schreien, daß sie ruiniert und verloren sei, was sie wirklich gemeint haben, was aber auch eine mit dem andern abgekartete Komödie gewesen sein kann, sagt in Gegenwart der Gesellschaft, die durch das Geschrei der Dienerin zurückgehalten wird, der Herr Chefredakteur des ›Echo de la Bièvre‹ feierlich: ›Beruhigen Sie sich, meine Beste, die Anlage habe ich im Einverständnis mit Ihnen gemacht, ich schulde Ihnen also nichts; aber es genügt, daß das Geld durch meine Hände gegangen ist, um mich in meinem Gewissen dafür verantwortlich zu fühlen: wenn
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