Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
außergewöhnlich genial Begabten das schwerste Hindernis und die gefährlichste Falle sind; ich rede von seiner Familie: er besaß eine Tochter, die er leidenschaftlich liebte, und an diesem Punkte gelang es seinen furchtbaren Feinden, seine Existenz zu erschüttern und die fürchterliche Katastrophe herbeizuführen, die sein Leben vernichtete. Ihr Onkel ist – Sie sehen, daß ich jetzt auf Ihre Angelegenheiten komme – vergiftet worden.«
    »Und das«, sagte la Peyrade, »soll für mich eine Ermutigung sein, den dunklen Weg zu betreten, auf den er mich veranlaßt hätte, ihm zu folgen?!«
    »Und wenn ich es nun wäre, mein lieber Herr,« entgegnete du Portail, »der Ihnen diesen Weg weist?«
    »Sie, mein Herr?« sagte la Peyrade verblüfft.
    »Ja, ich, der Schüler Ihres Onkels und dann sein Beschützer und sein guter Engel; ich, dessen Einfluß seit fast einem halben Jahrhundert fast täglich gewachsen ist; ich, der ich reich bin, und zu dem die Regierungen, von denen eine die andere stürzt, wie man Kartenhäuser umwirft, kommen, um von ihm Sicherheit und Unterstützung für ihre Zukunft zu erbitten; ich, der ich der Direktor eines großen Theaters von Drahtpuppen bin, der ›Golombinen‹ vom Schlage der Frau von Godollo besitzt; ich, der ich morgen, wenn es für den Erfolg eines meiner Vaudevilles oder meiner Tragödien erforderlich sein sollte, als Inhaber des Großkordons der Ehrenlegion, des Hosenbandordens und des Ordens vom goldenen Vließ vor Sie hintreten könnte! Und wollen Sie wissen, warum weder Sie noch ich durch Gift sterben werden? Warum ich, glücklicher als die zeitgenössischen Herrscherfamilien, mein Szepter dem Nachfolger, den ich mir gewählt habe, übergeben kann? Weil ich, ebenso wie Sie, mein junger Freund, trotz Ihrer anscheinenden südländischen Feurigkeit, kühl und alles berechnend bin und niemals meine Zeit mit unerheblichen Dingen vergeude; weil Leidenschaftlichkeit, wenn die Umstände mich veranlaßten, solche zu zeigen, bei mir immer nur eine äußerliche Sache geblieben ist. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Sie schon von mir gehört haben; für Sie will ich nun einen Zipfel der Hülle, die mich verbirgt, lüften; sehen Sie mich genau an und achten Sie scharf auf mich: ich habe weder einen Pferdefuß noch einen Schwanz am Rücken; ich erscheine im Gegenteil in der Gestalt des friedlichsten aller Rentiers im Viertel Saint-Sulpice; hier, wo ich, wie ich wohl sagen kann, seit fünfundzwanzig Jahren mich der allgemeinen Achtung erfreue, nennt man mich du Portail; für Sie aber heiße ich, wenn Sie mir gestatten wollen, Corentin!«
    »Corentin!« rief la Peyrade aus, aufs äußerste überrascht.
    »Ja, mein Herr, und Sie sehen, daß ich mit dieser Enthüllung meines Geheimnisses meine Hand auf Sie lege und Sie anwerbe. Corentin! ›Der größte Polizeimann der modernen Zeit‹ wie mich der Verfasser eines Artikels in der ›Bibliothek der Zeitgenossen‹ nennt, dem ich übrigens die Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, daß er von meinem Leben keine Ahnung hat.«
    »Ich werde Ihr Geheimnis unverbrüchlich bewahren«, sagte la Peyrade; »aber die Stellung, die Sie so gütig sind, mir in Ihrer Nähe anzubieten ...«
    »Erschreckt Sie oder beunruhigt Sie jedenfalls«, unterbrach ihn der Exrentier lebhaft. »Schon das Wort erschreckt Sie, bevor Sie sich noch über die Sache Rechenschaft abgelegt haben. Die Pooliizei!
    ... Sollten Sie sich Vorwürfe darüber machen, daß Sie das furchtbare Vorurteil, das sie brandmarkt, nicht teilen?«
    »Ganz gewiß ist sie eine nützliche Institution,« sagte la Peyrade, »aber ich glaube nicht, daß man sie immer nur verleumdet hat. Wenn das Handwerk ihrer Mitglieder ein ehrenwertes ist, weshalb brauchen sie sich versteckt zu halten?«
    »Weil alles, was die Gesellschaft bedroht,« antwortete Gorentin, »und was sie berufen sind zu unterdrücken, im Dunkeln vorbereitet und angezettelt wird. Die Diebe, die Verschwörer – stecken sie etwa einen Zettel an ihren Hut mit der Aufschrift ›Ich bin Guillot, der Hirt dieser Herde?‹ Und ist es nötig, daß wir, wenn wir sie packen wollen, es ausläuten lassen, wie der Kommissar morgens durch den Polizeidiener, wenn er anordnet, daß die Portiers vor der Tür fegen sollen?«
    »Wenn eine Empfindung so allgemein ist, mein Herr,« entgegnete la Peyrade, »so ist das kein Vorurteil, sondern eine Anschauung, und eine solche Anschauung muß jeder Mann, der auf Selbstachtung und die Achtung der andern

Weitere Kostenlose Bücher