Die Kleinbürger (German Edition)
Ihren Onkel, auf Abwege geführt haben. Aber blicken Sie doch höher hinauf (denn es handelt sich eben in der Hauptsache darum, auf welche Stufe man sich selber stellen will): Ist der Polizeipräfekt, der ehrenhafte, beliebte, geachtete Minister, etwa ein Spion? Und ich, mein Herr, ich bin der geheime Polizeipräfekt der Diplomatie und der hohen Politik, und da besinnen Sie sich, ob Sie sich auf den Thron setzen sollen, von dem der alternde Karl V. herabzusteigen gedenkt? Klein erscheinen und Ungeheures vollbringen, in einem behaglich eingerichteten Keller, wie diesem hier, leben und draußen befehlen; eine unsichtbare Armee zur Verfügung haben, die immer bereit, immer pflichttreu, immer gehorsam ist; die Kehrseite einer jeden Sache kennen, niemals über einen Faden stolpern, weil man sie selbst alle in der Hand hat; durch alle Schlüssellöcher sehen, in alle Geheimnisse eindringen, alle Herzen und alle Gewissen durchstöbern: das, mein Herr, flößt Ihnen Furcht ein! Aber Sie scheuen sich nicht, sich in dem dunklen, schlammigen Sumpf des Hauses Thuillier herumzuwälzen; Sie, ein Rassepferd, lassen sich vor einen Mietwagen spannen und arbeiten für die Wahl und die Zeitung dieses reich gewordenen Bourgeois!«
»Man tut eben, was man kann«, antwortete la Peyrade.
»Bemerkenswerter Weise«, fuhr Corentin in seinem Gedankengange fort, »hat die Sprache, gerechter und anerkennender als die öffentliche Meinung, uns an die richtige Stelle gesetzt, denn sie hat das Wort ›Polizei‹ zu einem Synonym von Zivilisation, also dem Gegensatz zur Wildheit, gemacht, indem sie dafür den Ausdruck ›etat police‹ geschaffen hat. Wir kümmern uns auch, das versichere ich Ihnen, sehr wenig um Vorurteile, die uns beschimpfen; niemand kennt die Menschen besser als wir, und wer sie kennt, der verachtet ihre Verachtung ebensosehr wie ihre Achtung.«
»In dem Gedankengang, den Sie mit solcher Wärme entwickeln, liegt sicherlich viel Wahres«, sagte la Peyrade schließlich.
»Viel Wahres!« antwortete Corentin und setzte sich wieder; »sagen Sie ruhig, es ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, aber es ist noch nicht die ganze Wahrheit. Im übrigen, mein lieber Herr, genug davon für heute. Mein Nachfolger zu werden und Ihre Kusine mit einer Mitgift, die nicht weniger als fünfhunderttausend Franken betragen wird, zu heiraten, das ist mein Angebot. Ich erwarte von Ihnen jetzt keine Antwort; ich würde auch kein Vertrauen zu einem Entschluß haben, der nicht ernsthaft überlegt ist. Ich bin morgen den ganzen Vormittag zu Hause; hoffentlich werden Sie sich meiner Überzeugung anschließen!« Dann verabschiedete er seinen Besucher mit kühlem kurzem Gruß:
»Ich sage Ihnen nicht Adieu, sondern auf Wiedersehn, Herr de la Peyrade!«
Dabei näherte sich Corentin einem Tischchen, auf dem alles für die Bereitung eines Glases Zuckerwasser, das er sich wohl verdient hatte, zurecht stand, und ohne weiter auf den Provenzalen, der sich etwas bedrückt entfernte, zu achten, schien er ausschließlich mit dieser prosaischen Tätigkeit beschäftigt zu sein.
War es noch nötig, daß am Tage nach der Begegnung mit Corentin ein Besuch der Frau Lambert, die eine sehr drängende und unbequeme Gläubigerin geworden war, auf den Entschluß la Peyrades drückte? Zogen ihn nicht, wie ihm am Tage vorher der Versucher erklärt hatte, sein Charakter, sein Geist, sein Ehrgeiz, die Torheiten seiner Vergangenheit unwiderstehlich zu der eigenartigen Lösung hin, die sich ihm so plötzlich geboten hatte?
Und das Verhängnis, wenn man so sagen darf, wollte ihn auch noch mit seidenen Schnüren erdrosseln. Man schrieb den 3i. Oktober, die Gerichtsferien gingen zu Ende; am 2. November sollten die Sitzungen wieder beginnen, und für diesen Tag empfing der Advokat, gerade als ihn Frau Lambert verließ, auch noch die Vorladung zum Erscheinen vor dem Vorstand seiner Kammer.
Zu Frau Lambert, die energisch auf Rückzahlung drängte, weil sie angeblich das Haus des Herrn Picot verlassen und nächstens in ihre Heimat ziehen wollte, hatte er gesagt:
»Kommen Sie übermorgen um dieselbe Zeit wieder, dann wird Ihr Geld bereitliegen.«
Auf die Aufforderung, sich vor den Vorstandsmitgliedern zu verantworten, erwiderte er, daß er dem Vorstande nicht das Recht zuerkenne, Rechenschaft von ihm über seine Privatangelegenheiten zu verlangen. Das war eine nichtssagende Antwort. Unvermeidlich mußte danach seine Streichung aus der Advokatenrolle beim Obergericht erfolgen;
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