Die Kleinbürger (German Edition)
sich das wohl, noch die mächtigsten und geschicktesten Leute mich dazu bringen, sie hinzunehmen.«
»Deshalb beabsichtige ich ja auch, mich an Ihre gesunde Vernunft und an Ihre Einsicht zu wenden, aber um mit jemandem zu reden, muß man ihn auch zur Hand haben. Erwägen wir nun einmal Ihre Lage, und fahren Sie nicht gleich auf, wenn ich, wie ein Chirurg, der seinen Kranken heilen will, meine Hand erbarmungslos auf die wunden Stellen einer bisher recht mühseligen und recht bewegten Existenz lege. Dabei muß ich zuerst feststellen, daß die Angelegenheit Celeste Colleville für Sie vollkommen erledigt ist.«
»Und warum das?« fragte la Peyrade.
»Weil ich eben von Thuillier komme und ihn in Schrecken versetzt habe, indem ich ihm alle Unannehmlichkeiten ausmalte, die er schon erfahren hat und die ihm noch bevorstehen, wenn er daran festhielte, Ihnen sein Mündel zur Frau geben zu wollen. Er weiß jetzt, daß ich es war, der den wohlwollenden Absichten der Frau Gräfin du Bruel in der Ordenssache entgegengetreten ist; daß ich seine Broschüre habe beschlagnahmen lassen; daß ich die Ungarin in sein Haus entsandt habe, die euch alle so glänzend zum Narren gemacht hat; daß auf meine Veranlassung heute der Angriff in den Regierungsblättern begonnen wurde, der mit jedem Tage heftiger werden wird, nicht gerechnet die übrigen Hindernisse, die seiner Kandidatur nötigenfalls in den Weg gelegt werden würden. Sie haben also, wie Sie sehen, mein lieber Herr, in Thuilliers Augen nicht mehr das Verdienst, sein Wahlmacher zusein, sondern Sie sind für seine ehrgeizigen Ansprüche ein Stein des Anstoßes geworden: ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß die Festungsmauer, in der Sie diese Familie, die im Grunde genommen niemals ernstlich etwas von Ihnen wissen wollte, eingeschlossen hielten, vollständig in Bresche geschossen und niedergerissen ist.
»Aber wer sind Sie denn,« fragte la Peyrade, »daß Sie alles das, dessen Sie sich rühmen, ausführen konnten?«
»Ich werde Ihnen nicht antworten, daß Sie zu neugierig sind, denn Sie sollen es gleich erfahren; aber fahren wir, wenn es Ihnen recht ist, mit der Inaugenscheinnahme Ihrer Existenz fort, die heute vernichtet ist, für die ich aber eine glänzende Auferstehung plane. Sie sind achtundzwanzig Jahre alt und haben kaum eine Karriere begonnen, in der ich Sie hindern werde, noch einen weitern Schritt vorwärts zu tun. Noch einige Tage, und der Vorstand der Advokatenkammer wird zusammentreten und Ihr Verhalten in der Angelegenheit des Grundstücks, das Sie so naiv waren, den Thuilliers in die Hände zu spielen, mehr oder weniger scharf verurteilen. Sie dürfen sich also keinen Illusionen hingeben: hätten Sie auch nur eine ernste Verwarnung zu gewärtigen, und ich nehme nur den günstigsten Fall an, so ist ein Advokat doch kein Kutscher, den die Rüge des Gerichtshofs nicht hindern konnte, weiter mit seinem Wagen zu fahren; denn einmal verwarnt, sind Sie sogut wie von der Liste gestrichen ...«
»Und dieses wertvolle Ergebnis«, sagte la Peyrade, »habe ich jedenfalls auch Ihrem Wohlwollen zu verdanken?«
»Und ich rühme mich dessen sogar,« erwiderte du Portail, »denn um Sie in den Hafen zu lotsen, mußte das Schiff erst vollständig abgetakelt werden; ohne das hätten Sie immer weiter mit eigenen Segeln durch, die Untiefen der Bourgeoisie steuern wollen.«
Da er merkte, daß er es unzweifelhaft mit einem starken Gegner zu tun hatte, hielt es der kluge Provenzale für angemessen, seine Haltung etwas zu mäßigen, und sagte in erheblich ruhigerem Tone:
»Sie werden mir erlauben, mein Herr, daß ich den Ausdruck meiner Dankbarkeit noch aufschiebe, bis ich weitere Aufklärungen erhalten habe.«
»Sie sind also«, fuhr du Portail fort, »im Alter von achtundzwanzig Jahren ohne einen Pfennig Geld, ohne Stellung und mit sehr ... zweifelhaften Antezedenzien und mit Beziehungen, wie die zu Herrn Dutocq und dem ›kühnen‹ Cérizet, belastet; Sie schulden Fräulein Thuillier zehntausend Franken, die Sie ihr ehrlicher Weise auch dann würden zurückzahlen müssen, wenn Sie sich nicht aus Selbstgefühl dazu verpflichtet hätten; Frau Lambert schulden Sie fünfundzwanzigtausend Franken, die Sie unzweifelhaft genötigt sind, ihr baldigst wiederzugeben; endlich ist soeben diese Heirat, die Ihre letzte Hoffnung und Ihre Rettungsplanke war, für Sie unmöglich geworden. Wenn ich Ihnen nun, unter uns gesagt, etwas Vernünftiges vorzuschlagen habe, meinen Sie nicht, daß Sie
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