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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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zu werden braucht, sondern schon in der Geste, der Betonung und dem Blicke enthalten ist. Und da sich die Anwälte auf diesem Gebiete immer wieder begegnen, so kommt es leicht zu einem Vergleich. Das Gegengewicht bei einer solchen Koterie bildet das, was man mit »Berufsehre« bezeichnen muß. Die Menschen müssen ja auch dem Arzt Glauben schenken, wenn er bei einer gerichtlichen Untersuchung erklärt: »In diesem Körper ist Arsenik nachgewiesen«; kein Bedenken siegt über die Eigenliebe des Schauspielers, die Ehrlichkeit des Rechtsgelehrten oder die Unabhängigkeit des Staatsanwalts. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit sagt der Pariser Anwalt: »Das kann ich nicht durchsetzen, mein Klient ist nicht davon abzubringen«, und der andere antwortet: »Schön, dann wollen wir weiter sehen ...«
    Der schlaue la Peyrade war lange genug vor Gericht tätig gewesen, um zu wissen, wie nützlich diese Gepflogenheiten seinem Vorhaben sein mußten. »Bleiben Sie im Wagen«, sagte er zu Thuillier, als sie in der Rue Vivienne angelangt waren, wo Godeschal an derselben Stelle, an der er sich seine ersten Sporen verdient hatte, sich als Anwalt niedergelassen hatte; »Sie sollen erst heraufkommen, wenn er die Sache angenommen hat.«
    Es war elf Uhr abends geworden, und la Peyrade hatte sich in seiner Erwartung, einen jungen Anwalt um diese Zeit noch in seinem Arbeitszimmer tätig zu finden, nicht getäuscht.
    »Welchem Umstande verdanke ich Ihren Besuch, Herr Advokat?« sagte Godeschal, als er la Peyrade entgegen ging.
    Fremde, Leute aus der Provinz und Weltleute werden vielleicht nicht wissen, daß sich die Advokaten zu den Anwälten verhalten, wie die Generäle zu den Marschällen; es besteht eine scharf innegehaltene Grenzlinie zwischen der Advokatenschaft und der Gesellschaft der Anwälte von Paris. Wie angesehen und was für ein feiner Kopf ein Anwalt auch sein mag, er muß sich doch an den Advokaten wenden. Der Anwalt ist der Beamte, der den Feldzugsplan macht, die Munition heranschafft und alles in Bereitschaft setzt; der Advokat aber schlägt die Schlacht. Man weiß ebensowenig, weshalb das Gesetz dem Klienten vorschreibt, sich an zwei Leute zu wenden, statt an einen, wie man weiß, warum der Autor einen Drucker und einen Verleger braucht. Die Vorschriften verbieten dem Advokaten, irgend etwas zu vollziehen, was zum Ressort der Anwälte gehört. Es geschieht sehr selten, daß ein bedeutender Advokat einen Fuß in das Arbeitszimmer eines Anwalts setzt, man sieht sich nur vor Gericht; gesellschaftlich gibt es jedoch keine Scheidung, und manche Advokaten, besonders solche, die sich in derselben Lage wie la Peyrade befinden, scheuen sich nicht, ab und zu einen Anwalt aufzusuchen; aber diese Fälle sind selten und fast immer durch irgendeinen zwingenden Umstand veranlaßt.
    »Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit,« sagte la Peyrade, »und vor allem um eine behutsam anzufassende Sache, über die wir beide uns einig werden müssen. Thuillier wartet unten im Wagen, und ich komme zu Ihnen nicht in meiner Eigenschaft als Advokat, sondern als Freund Thuilliers. Sie allein sind in der Lage, ihm einen außerordentlichen Dienst zu leisten, und ich habe ihm gesagt, daß Sie, der würdige Nachfolger des großen Derville, ein zu hochgesinnter Mann sind, als daß Sie nicht alle Ihre Fähigkeiten ihm zur Verfügung stellen würden. Und nun zum Tatbestand.«
    Nachdem er ihm in seinem Sinne den Schwindel, den er mit seiner Gewandtheit zunichte machen sollte, auseinandergesetzt hatte, denn die Anwälte treffen mehr auf lügenhafte als auf wahrheitsliebende Klienten, faßte der Advokat noch einmal seinen Schlachtplan zusammen.
    »Sie müßten, verehrter Herr, noch heute abend Desroches aufsuchen, ihn von dem Komplott in Kenntnis setzen und seine Zusage erreichen, daß er seinen Klienten, diesen Sauvaignou auf morgen früh zu sich bestellt; dann werden wir drei ihn uns vornehmen, und wenn er außer seiner Forderung tausend Franken haben will, so wollen wir das hergeben, abgesehen von einem Honorar von fünfhundert Franken für Sie und ebensoviel für Desroches, sobald Thuillier die Verzichterklärung Sauvaignous morgen um zehn Uhr in Händen hat ... Was will denn dieser Sauvaignou? Sein Geld! Nun, so ein Zwischenmeister wird dem Köder eines Tausendfrankenscheins nicht widerstehen können, selbst wenn er nur das Instrument einer hinter ihm versteckten Habgier sein sollte. Der Streit zwischen seinen Drahtziehern und ihm kann uns wenig

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