Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
lange her, daß sie ein kleines Mädchen war.
    Sie blickte scharf auf meine leeren Hände. Szenenaufnahmen sind gewöhnlich ein bißchen zu groß, um sie in die Tasche zu stecken.
    Ich sagte: »Miss Weld, bitte.«
    »Sie können mir die Fotos geben.« Die Stimme war kühl, schleppend und unverschämt, aber mit den Augen war es anders. Da dranzukommen war nicht schwerer als beim Friseur.
    »Für Miss Weld persönlich. Verzeihung.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, sie nimmt ein Bad.«
    »Ich werde warten.«
    »Sind Sie sicher, daß Sie die Fotos dabei haben, Amigo?«
    »Ich werde nie sicher sein. Warum?«
    »Ihr Name?« Beim zweiten Wort fror ihre Stimme, wie eine Feder, die sich in einem plötzlichen Zugwind erhebt. Dann gurrte sie und schwebte und stieg und wirbelte, und die leise Einladung eines Lächelns zupfte zärtlich an ihren Mundwinkeln, sehr langsam, wie ein Kind, das versucht, eine Schneeflocke aufzuheben.
    »Ihr letzter Film war wunderbar, Miss Gonzales.«
    Das Lächeln schoß wie ein Blitz über ihr Gesicht und veränderte es völlig. Der Körper straffte sich und bebte vor Wonne.
    »Aber es war großer Mist«, sagte sie glücklich. »Ganz bestimmt ein gottverdammter Mist, mein süßer Liebling. Sie wissen verdammt gut, daß er Mist war.«
    »Für mich ist nichts Mist, wenn Sie dabei sind, Miss Gonzales. «
    Sie trat von der Türe zurück und winkte mich herein. »Wir werden einen Drink nehmen«, sagte sie. »Den gottverdammtesten Drink werden wir nehmen. Ich liebe Schmeicheleien, egal, wie verlogen sie sind.«
    Ich ging rein. Wenn ich einen Revolver an der Niere gespürt hätte, wäre ich gar nicht überrascht gewesen. Sie hatte sich so hingestellt, daß ich ihre Brüste regelrecht mit der Hand wegdrücken mußte, um durch die Tür zu kommen. Sie roch so, wie das Tadsch Mahal im Mondschein aussieht. Sie schloß die Tür und tänzelte hinüber zu einer kleinen tragbaren Bar.
    »Whisky? Oder wollen Sie lieber was Gemixtes? Ich mixe einen absolut grauenhaften Martini«, sagte sie.
    »Whisky ist gut, danke.«
    Sie machte ein Paar Drinks in ein Paar Gläser, die man auch als Schirmständer benutzen konnte. Ich setzte mich auf einen Chintz-Sessel und sah mich um. Die Wohnung war altmodisch. Sie hatte einen falschen Kamin mit Holzattrappen und Gasbeleuchtung und einem Marmorsims mit Sprüngen im Gips, ein paar Klecksereien an der Wand, die so schlimm aussahen, daß sie sicher viel gekostet hatten, und einen alten schwarzen, abgestoßenen Flügel, auf dem wenigstens kein spanischen Schal drauflag. Eine Menge neuer Bücher in hellen Umschlägen lagen herum, und in der Ecke stand eine Doppelbüchse mit einem hübsch geschnitzten Kolben und einer Seidenschleife um die beiden Läufe. Humor aus Hollywood.
    Die dunkle Dame in den Breeches gab mir ein Glas und setzte sich auf die Lehne meines Sessels. »Sie können mich Dolores nennen, wenn Sie wollen«, sagte sie und nahm einen herzhaften Schluck aus ihrem Humpen.
    »Danke.«
    »Und wie kann ich Sie nennen?«
    Ich grinste.
    »Natürlich«, sagte sie, »bin ich mir vollkommen klar, daß Sie ein gottverdammter Lügner sind und keinerlei Fotos in den Taschen haben. Ich will gar nicht fragen, was für ein Geschäft Sie haben - bestimmt ist es was sehr Privates.«
    »Ach nee.« Ich schlürfte ein paar Zentimeter von meinem Drink.
    »Was für eine Art Bad nimmt eigentlich Miss Weld? Eins mit guter alter Seife, oder so was mit arabischen Gewürzen drin?«
    Sie schwenkte die Reste der braunen Zigarette mit der kleinen goldenen Klammer.
    »Vielleicht möchten Sie ihr helfen? Das Bad ist da drüben - durch den Durchgang und nach rechts. Sehr wahrscheinlich ist die Tür nicht zugeschlossen.«
    »Wenn es so leicht ist - nein«, sagte ich.
    »Oh«, sie schenkte mir wieder ihr strahlendes Lächeln. »Sie mögen es gern schwierig im Leben. Ich muß aufpassen, daß man nicht so leicht bei mir ankommt, was?« Sie erhob sich lässig von meiner Stuhllehne und machte ihre Zigarette aus, wobei sie sich bückte, so daß man die Umrisse ihrer Hüften sah.
    »Machen Sie sich keine Mühe, Miss Gonzales. Ich bin bloß jemand, der hier was zu erledigen hat. Ich habe kein Bedürfnis, jemanden zu vergewaltigen.«
    »Nein?« Das Lächeln wurde weich, träge und, ich finde kein besseres Wort, herausfordernd.
    »Aber ich werde schon noch draufkommen«, sagte ich.
    »Sie sind ein ganz amüsantes Mistvieh«, sagte sie, zuckte die Achseln und ging durch den Durchgang, wobei sie ihren
    halben Liter

Weitere Kostenlose Bücher