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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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mehr wird mir bange.
    Vielleicht hat sie ihn ja umgebracht. Ich kann keine Mörderin decken.«
    Ich nahm den Hörer vom Haken. Flack ließ seine feuchte Faust auf meinen Handrücken sausen. Das Telefon machte einen Satz. »Lassen Sie das.« Seine Stimme schluchzte beinahe. »Ich folgte ihr zu einem Auto, das weiter unten an der Straße geparkt war. Die Nummer hab ich. Mann Gottes, geben Sie mir eine Chance!« Er wühlte wild in seinen Taschen herum. »Wissen Sie, was sie mir für diesen Job geben? Zigaretten- und Zigarrengeld und kaum einen Zehner drüber! Warten Sie mal eben. Ich glaube ... «, er blickte abwärts und vertauschte ein paar schmutzige Kuverts, wählte schließlich eines aus und schlenzte es zu mir hin. »Autonummer«, sagte er müde, »und wenn es Ihnen Spaß macht - ich kann mich nicht mehr erinnern, wie sie war.«
    Ich sah mir den Umschlag an. Eine Autonummer war wirklich drauf gekritzelt. Bös geschmiert und blaß und undeutlich, so wie es hastig auf ein Papier geschrieben wird, das jemand auf der Straße in der Hand hält. 6 N 333- California 1947.
    »Zufrieden?« Es war Flacks Stimme. Oder, jedenfalls, sie kam aus seinem Mund. Ich riß die Nummer ab und warf ihm das Kuvert wieder hin.
    »4 P 327«, sagte ich und beobachtete seine Augen. Nichts zuckte darin. Keine Spur von Spott oder Heimlichtuerei. »Aber woher weiß ich, daß es nicht einfach eine Nummer ist, die Sie schon vorher hatten?«
    »Sie müssen mir einfach glauben.«
    »Beschreiben Sie den Wagen«, sagte ich.
    »Cadillac Cabrio, nicht ganz neu, Verdeck offen. Etwa 1942er Modell. Irgendwie staubiges Grau.«
    »Beschreiben Sie die Frau.«
    »Sie woll'n aber 'ne Menge für Ihre Piepen, was, Schnüffler?«
    »Dr. Hambletons Piepen.«
    Er krümmte sich ein bißchen. »Na schön. Weißer Mantel mit was farbig Gesticktem drauf. Breiter blauer Strohhut. Dunkle Brille. Zirka 1.60. Gebaut wie von Dior.«
    »Würden Sie sie wiedererkennen - ohne Brille?« fragte ich vorsichtig.
    Er tat, als ob er denken würde. Dann schüttelte er den Kopf, nein.
    »Wie war noch mal die Autonummer, Flacky?« Ich hatte ihn überrascht.
    »Welche?« sagte er.
    Ich. beugte mich über den Schreibtisch und ließ etwas Zigarettenasche auf seinen Revolver fallen. Ich starrte ihm noch mal ein bißchen in die Augen. Aber ich wußte, daß er jetzt dran war. Anscheinend wußte er es auch. Er griff nach seinem Revolver, blies die Asche davon weg und tat ihn zurück in die Schublade seines Schreibtischs.
    »Also los. Schieben Sie ab«, sagte er durch die Zähne. »Erzählen Sie doch den Bullen, daß ich eine Leiche gefleddert habe. Na und? Vielleicht verliere ich meinen Job.
    Vielleicht schmeißen sie mich in den Bau. Na und> Wenn ich rauskomme, bin ich ein gemachter Mann. Klein-Flacky braucht sich nicht mehr krummzulegen wegen Kaffee und Keksen. Glauben Sie bloß nicht, daß diese dunklen Gläser Klein-Flacky täuschen können. Ich hab zu viele Filme gesehen, um diese süße Möse nicht zu kennen. Und wenn Sie mich fragen, diese Kleine wird sich 'ne ganze Weile halten. Die is' im Kommen - und wer weiß -« er warf mir triumphierend einen schlüpfrigen Blick zu -
    »eines Tages braucht sie auch eine Leibwache. Einen Dauerposten, um aufzupassen, daß sie keine Schwierigkeiten hat. jemand, der die Tricks kennt und nicht so anspruchsvoll ist mit den Piepen ... Was ist 'n los?«
    Ich hielt meinen Kopf schräg und beugte mich vor. Ich horchte. »Es kam mir vor, als ob eine Glocke läutet«, sagte ich.
    »Kirchen gibt's nicht hier in der Gegend«, sagte er verächtlich.
    »Das ist Ihr Superhirn aus Platin, das Sprünge kriegt.«
    »Bloß eine Glocke«, sagte ich. »Sie schlägt - so heißt das wohl.«
    Flack lauschte jetzt auch. »Ich hör nix«, sagte er scharf.
    »Oh, Sie können sie nicht hören«, sagte ich. »Sie sind natürlich der einzige Typ auf der Welt, der sie nicht hört.«
    Er hockte bloß so da und starrte mich an, seine bösen, kleinen Augen halb geschlossen, und sein böses, kleines Bärtchen glänzte. Eine seiner Hände zuckte auf der Tischplatte, eine sinnlose Geste.
    Ich überließ ihn seinen Gedanken, die vermutlich so klein, mies und verängstigt waren wie der ganze Mann.

12
    Das Apartmenthaus lag am Doheny Drive, direkt unterhalb vom Sunset Boulevard.
    Genaugenommen waren es zwei Gebäude, eines hinter dem anderen, locker durch einen gepflasterten Hof verbunden, mit einem Brunnen und einer Art Brücke, mit einem Zimmer drin. In der Eingangshalle aus

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