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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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gefragt, was an ihnen so besonders war.«
    Ich duckte mich. Ein paar Tropfen trafen mich. Das Glas zerbrach an der Wand hinter mir. Die Scherben fielen lautlos.
    »Und damit«, sagte sie, in völliger Ruhe, »habe ich wohl meinen Vorrat an mädchenhaftem Charme aufgebraucht.«
    Ich ging rüber und nahm meinen Hut. »Ich habe nie geglaubt, daß Sie ihn getötet haben«, sagte ich. »Aber ich müßte schon einen Grund haben, wenn ich es nicht erzählen soll, daß Sie dort waren. Es ist ganz praktisch, wenn man Geld für eine Anzahlung kriegt - es wäre eine Basis. Und wenn ich dann noch die Informationen bekäme, ohne die ich die Anzahlung nicht annehmen kann.«
    Sie nahm eine Zigarette aus einem Kästchen, warf sie in die Luft, fing sie mühelos mit den Lippen auf und zündete sie mit einem Streichholz an, das sie irgendwie hergezaubert hatte.
    »Lieber Himmel! Soll ich jemanden ermordet haben?« fragte sie.
    Ich hielt noch immer diesen Hut. Ich kam mir blöd damit vor. Ich weiß nicht, warum. Ich setzte ihn auf und ging zur Tür.
    »Sie haben doch sicher das Fahrgeld nach Hause«, sagte die verächtliche Stimme hinter mir.
    Ich antwortete nicht. Ich ging einfach weiter. Als ich an der Tür war und sie gerade öffnen wollte, sagte sie: »Ich bin auch sicher, daß Miss Gonzales Ihnen ihre Adresse und Telefonnummer gegeben hat. Von ihr werden Sie sicher so gut wie alles kriegen -
    auch Geld, wie ich gehört habe.«
    Ich ließ den Türknopf los und ging schnell zurück durch das Zimmer. Sie rührte sich nicht, und das Lächeln auf ihren Lippen verrutschte um keinen Millimeter.
    »Hören Sie«, sagte ich. »Sie werden es nicht glauben. Aber ich bin hierher gekommen mit der komischen Idee, daß Sie vielleicht eine Frau sind, die Hilfe braucht - und für die es ziemlich schwer wäre, jemand anderen zu finden, auf den sie sich verlassen könnte.
    Ich habe mir überlegt, daß Sie wohl in dieses Hotel gegangen sind, um irgend jemand zu schmieren. Und da Sie selbst dahin gegangen sind und riskiert haben, daß man Sie erkannte - und daß Sie auch wirklich erkannt worden sind, von einem Hausdetektiv, dessen moralische Grundsätze ungefähr so strapazierfähig sind wie ein altes Spinnennetz -, das alles hat mich drauf gebracht, daß Sie tief in der Tinte sitzen - in einem Hollywood-Schlamassel, was in Wirklichkeit bedeutet: Schluß mit der Karriere.
    Aber Sie sind nicht in der Tinte, o nein! Sie stehen direkt unter dem kleinen Scheinwerfer und spielen das ganze Schmierenrepertoire herunter, wie für die miesesten Hollywood-Schinken, in denen Sie je eine Rolle hatten, wenn man das eine Rolle nennen kann ... «
    »Aufhören!« sagte sie zwischen den Zähnen, die so zusammengepreßt waren, daß sie knirschten. »Hören Sie auf, Sie schmieriger, erpresserischer Schlüssellochgucker.«
    »Sie brauchen mich nicht«, sagte ich. »Sie brauchen keinen Menschen. Sie sind so verdammt schlau, Sie könnten sich sogar aus einem Banksafe herausreden. Okay. Nur zu, reden Sie sich raus. Ich halte Sie nicht ab. Aber sagen Sie dann nicht, ich soll zuhören. Ich würde hemmungslos weinen, bloß bei dem Gedanken, daß so ein kleiner Ausbund von einem unschuldigen Mädchen schon so schlau sein kann. Mir wird weh ums Herz wie bei Margaret O'Brien.«
    Sie bewegte sich nicht, und sie atmete nicht, als ich an der Tür war, und auch nicht, als ich sie öffnete. Ich weiß nicht warum. So gut war der Schnaps auch nicht.
    Ich stieg die Treppen hinunter und über den Hof und aus der Eingangstür und wäre fast mit einem schlanken, dunkeläugigen Mann zusammengerannt, der da stand und eine Zigarette anzündete.
    »Verzeihung«, sagte er ruhig. »Ich habe wohl im Weg gestanden.«
    Ich ging um ihn herum, dann bemerkte ich, daß seine erhobene rechte Hand einen Schlüssel hielt. Ich griff danach und riß ihn aus seiner Hand - vollkommen ohne Grund.
    Ich sah mir die Nummer an, die eingeprägt war. Nr. 14, das Apartment von Mavis Weld.
    Ich warf ihn hinter einen Busch.
    »Den brauchen Sie nicht«, sagte ich, »die Tür ist offen.«
    »Oh, natürlich«, sagte er. Auf seinem Gesicht war ein sehr eigentümliches Lächeln.
    »Wie dumm von mir.«
    » Jawohl«, sagte ich. »Wir sind alle beide dumm. jeder ist dumm, der sich mit dieser Schlampe einläßt.«
    »Das würde ich nicht unbedingt sagen«, antwortete er still, und seine kleinen, traurigen Augen beobachteten mich ziemlich ausdruckslos.
    »Sie müssen es auch nicht«, sagte ich. »Ich habe es gesagt, an Ihrer

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