Die kleine Schwester
Whisky-Soda mit sich führte. Ich hörte ein leises Klopfen an einer Tür und ihre Stimme: »Liebling, da ist ein Mann hier, der sagt, er hat ein paar Standfotos aus dem Studio. Sagte er. Muy guapo tambien. Con cojones.«
Eine Stimme, die ich schon mal gehört hatte, sagte scharf: »Halt's Maul, du Miststück.
Ich komme gleich raus.«
Die Gonzales kam summend durch den Durchgangsbogen. Ihr Glas war leer. Sie ging wieder zur Bar. »Aber Sie trinken ja gar nicht«, rief sie, als sie mein Glas sah.
»Ich habe schon gegessen. Mehr als zwei Liter gehen nicht in meinen Magen. Ich verstehe ein bißchen Spanisch.«
Sie warf ihren Kopf herum. »Hat es Sie schockiert?« Ihre Augäpfel drehten sich hin und her. Ihre Schultern machten den Fächertanz.
»Ziemlich schwer, mich zu schockieren.«
»Aber Sie haben gehört, was ich gesagt habe? Madre de Dios. Es tut mir schrecklich leid.«
»Bestimmt«, sagte ich.
Sie hatte sich den nächsten Whisky-Soda gemacht.
»0 ja, es tut mir so leid«, seufzte sie. »Vielmehr: es kommt mir so vor. Manchmal weiß ich es selber nicht. Manchmal ist mir alles verdammt egal. Bringt einen ganz durcheinander. Alle meine Freunde sagen mir, daß ich viel zu offenherzig bin. Es hat Sie doch wirklich schockiert, nicht?« Sie war wieder da, auf der Lehne meines Sessels.
»Nein. Aber wenn ich mich gerne schockieren lassen wollte, dann wüßte ich, wo.« Sie griff lässig nach dem Glas hinter sich und lehnte sich zu mir.
»Aber ich wohne nicht hier«, sagte sie. »Ich wohne im Chateau Bercy.«
»Allein?«
Sie versetzte mir einen leichten Schlag auf die Nasenspitze. Gleich darauf hatte ich sie auf dem Schoß, sie versuchte ein Stück von meiner Zunge abzubeißen. »Sie sind ein sehr süßer Mistkerl«, sagte sie. Ihr Mund war so heiß, wie Münder nur sein können. Ihre Lippen brannten wie Trockeneis. Ihre Zunge fuhr heftig über meine Zähne. Ihre Augen sahen riesengroß und schwarz aus, und das Weiße war darunter zu sehen.
»Ich bin so müde«, hauchte sie in meinen Mund. »Ich bin so ausgelaugt, so furchtbar müde.«
Ich fühlte ihre Hand in meiner Brusttasche. Ich drückte ihre Hand weg, aber meine Brieftasche hatte sie schon. Sie tänzelte lachend damit fort, machte sie auf, wühlte drin, wobei ihre Finger herumschossen wie kleine Schlangen.
»Freut mich sehr, daß ihr beiden euch so gut versteht«, sagte eine kühle Stimme von der Seite her. Im Durchgang stand Mavis Weld.
Ihr Haar wehte nachlässig herum, sie hatte sich nicht die Mühe eines Make-up gemacht. Sie trug einen Morgenmantel und nicht viel mehr. Ihre Beine hatten am Ende kleine grün-silberne Pantoffeln. Ihre Augen waren leer, ihre Lippen verächtlich. Aber jedenfalls war es dasselbe Mädchen, mit oder ohne dunkle Brille.
Die Gonzales warf ihr einen blitzschnellen Blick zu, machte meine Brieftasche zu und warf sie mir rüber. Ich fing sie auf und steckte sie weg. Sie schlenderte zu einem Tisch, nahm eine schwarze Tasche mit einem langen Riemen, hängte ihn über die Schulter und machte sich auf den Weg zur Tür.
Mavis Weld bewegte sich nicht, sah sie nicht an. Sie sah mich an. Aber es war keinerlei Gefühl in ihrem Gesicht. Die Gonzales öffnete die Tür, warf einen Blick nach draußen und hatte sie schon fast geschlossen, als sie sich noch einmal umdrehte.
»Er heißt Philip Marlowe«, sagte sie zu Mavis Weld. »Nett - findest du nicht?«
»Ich habe nicht gedacht, daß du dir die Mühe machst, nach dem Namen zu fragen«, sagte Mavis Weld. »Meistens kennst du sie gar nicht lange genug.«
»Ach ja«, antwortete die Gonzales mit Gelassenheit. Sie wandte sich an mich und lächelte mir ein bißchen zu. »Was für eine reizende Art, ein Mädchen eine Hure zu nennen, nicht wahr?«
Mavis Weld sagte nichts. Ihr Gesicht hatte keinen Ausdruck.
»Wenigstens«, sagte die Gonzales sanft, während sie die Tür noch einmal öffnete,
»habe ich in letzter Zeit nicht mit irgendwelchen Pistolenhelden geschlafen.«
»Bist du sicher, daß du das noch weißt?« fragte Mavis Weld in genau demselben Ton.
»Mach die Tür auf, Liebling. Heute ist der Tag, um den Abfall rauszutragen.«
Die Gonzales blickte langsam über die Schulter auf sie, sehr gerade, mit einem Messer in den Augen. Dann machte sie ein schwaches Geräusch zwischen Lippen und Zähnen und riß die Tür weit auf. Hinter ihr fiel sie zu, mit einem schmetternden Knall.
Der Lärm bewirkte noch nicht einmal ein Zucken in dem gleichförmigen dunkelblauen Glanz von Mavis Welds
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