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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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woher Sie das alles wissen. Oder besser, woher Orrin das alles weiß. Wenn er's wirklich weiß. Sie haben ihn also gefunden. Das war ja das, was ich für Sie tun sollte. Oder er hat Sie gefunden, was auf dasselbe hinausläuft.«
    »Es ist nicht dasselbe«, weinte sie. »Ich habe ihn gar nicht richtig gefunden. Er wollte mir nicht sagen, wo er wohnt.«
    »Na ja, wenn es so ist wie die vorige Wohnung, kann ich das verstehen.«
    Sie preßte ihre Lippen zusammen - ein schmaler Strich des Abscheus. »Er wollte mir überhaupt nichts sagen.«
    »Nur etwas über Morde«, sagte ich. »Oder so Kleinigkeiten.«
    Sie lachte sprudelnd. »Das hab ich doch nur gesagt, um Ihnen angst zu machen. Ich weiß ja gar nichts von einem Mord, Mr. Marlowe. Sie haben so kalt und weit weg geklungen. Ich dachte, Sie würden mir nicht mehr helfen wollen. Und - na ja, ich hab es einfach erfunden.«
    Ich atmete ein paarmal tief und betrachtete meine Hände. Ich machte langsam meine Finger grade. Ich stand auf. Ich sagte kein Wort.
    »Sind Sie böse auf mich?« fragte sie schüchtern und machte mit einer Fingerspitze einen kleinen Kreis auf dem Schreibtisch.
    »Ich müßte Ihnen eine runterhauen«, sagte ich. »Und spielen Sie nicht dauernd die Unschuldige. Sonst haue ich vielleicht woanders drauf.«
    Mit einem Ruck hielt sie den Atem an. »Was fällt Ihnen ein!«
    »Das haben Sie schon gesagt«, sagte ich. »Sie haben es schon zu oft gesagt. Halten Sie Ihren Mund und machen Sie, daß Sie rauskommen. Denken Sie, es macht mir Spaß, wenn man mich zu Tode erschreckt? Ach so - hier.« Ich riß die Schublade auf, nahm die zwanzig Dollar raus und schmiß sie vor sie hin. »Nehmen Sie bloß dieses Geld weg. Stiften Sie's für ein Krankenhaus oder ein Forschungsinstitut. Es macht mich ganz nervös, hier bei mir.«
    Ihre Hand griff automatisch nach dem Geld. Ihre Augen hinter den Gläsern waren rund und erstaunt. »Mein Gott«, sagte sie und raffte ihre Tasche zusammen, mit einer hübschen, vornehmen Geste. »Ich habe gar nicht gewußt, daß man Sie so leicht erschrecken kann. Ich dachte, Sie sind hart und abgebrüht.«
    »Ich tue nur so«, brummte ich und umkreiste den Schreibtisch. Sie lehnte sich zurück in ihrem Sessel, von mir weg. »Das bin ich nur, wenn so kleine Mädchen wie Sie da sind, die ihre Fingernägel nicht wachsen lassen. Innen bin ich nur Mus.« Ich griff mir einen ihrer Arme und zog sie hoch. Ihr Kopf bog sich zurück. Ihre Lippen öffneten sich. An diesem Tag war ich ein Mordskerl mit den Frauen.
    »Aber du suchst mir Orrin, nicht wahr?« flüsterte sie. »Es war alles gelogen. Alles, was ich dir gesagt habe, war gelogen. Er hat mich gar nicht angerufen. Ich - ich weiß gar nichts.«
    »Parfüm.« Ich schnüffelte. »Aber, aber, kleines Schätzchen. Sie hat ja Parfüm hinter die Ohren getan - und das alles für mich!«
    Ihr kleines Kinn nickte, einen Zentimeter auf und ab. Ihre Augen schmolzen. »Nimm mir die Brille ab, Philip«, flüsterte sie. »Es macht mir gar nichts aus, wenn du mal ein bißchen Whisky trinkst. Wirklich nicht.«
    Unsere Gesichter waren zirka zehn Zentimeter auseinander. Ich traute mich nicht, ihr die Brille abzunehmen. Vielleicht hätte ich ihr auf die Nase gehauen.
    » ja«, sagte ich, mit einer Stimme wie von Orson Welles, der den Mund voller Kekse hat. »Ich suche ihn dir, Liebling, wenn er noch lebt. Und gratis. Keine zehn Cents Auslagen dabei. Nur etwas will ich dafür wissen.«
    »Was, Philip?« fragte sie weich und öffnete ihre Lippen noch ein bißchen weiter.
    »Wer war das schwarze Schaf in eurer Familie?«
    Sie zuckte von mir weg, wie ein erschrecktes Reh es gemacht hätte, wenn ich ein Reh erschreckt hätte und es weggezuckt wäre. Sie starrte mich an mit steinernem Gesicht.
    »Sie haben gesagt, Orrin war nicht das schwarze Schaf in der Familie. Wissen Sie noch? Mit einer besonderen Betonung. Und als Sie Ihre Schwester Leila erwähnten, da sind Sie schnell drüber weggegangen, als ob es ein geschmackloses Thema wäre.«
    »Ich ... ich erinnere mich nicht, daß ich so was gesagt habe«, sagte sie sehr langsam.
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte ich. »Was für einen Namen benutzt Ihre Schwester beim Film?«
    »Film?« sie klang undeutlich. »Oh, Sie meinen Kinofilm. Aber ich habe doch nie gesagt, daß sie beim Film ist. Ich habe nie so was über sie gesagt.«
    Ich schenkte ihr mein allerschönstes, gemütliches, schiefes Grinsen. Plötzlich wurde sie wütend.
    »Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür mit

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