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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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einfach egal. Meinetwegen hätte es die Königin von Saba sein können, in ihrem Cellophanpyjama oder ohne ihn -
    ich war zu müde. Mein Kopf fühlte sich an wie ein Eimer voll nassem Sand.
    Es klingelte immer noch, als ich an der Tür war. Nichts zu machen. Ich mußte zurück.
    Instinkt war stärker als Müdigkeit. Ich nahm den Hörer auf.
    Orfamay Quests Zwitscherstimme sagte: »Oh, Mr. Marlowe, so lange versuche ich schon, Sie zu erreichen. Ich bin so aufgeregt. Ich bin ... «
    »Morgen früh«, sagte ich. »Bürozeit zu Ende.«
    »Bitte, Mr. Marlowe ... nehmen Sie's mir doch nicht übel, daß ich mich habe gehen ... «
    »Morgen früh.«
    »Aber ich muß Sie unbedingt sprechen.« Ihre Stimme blieb nicht mehr ganz auf Zimmerlautstärke. »Es ist furchtbar wichtig.«
    »Jaja.«
    Sie schniefte. »Sie - Sie haben mich geküßt.«
    »Inzwischen habe ich netter geküßt«, sagte ich. Zum Teufel mit ihr. Zum Teufel mit allen Weibern.
    »Ich habe was von Orrin gehört«, sagte sie.
    Einen Moment lang war ich verblüfft, dann lachte ich. »Sie sind eine süße kleine Lügnerin«, sagte ich. »Wiedersehen.«
    »Aber es stimmt wirklich. Er hat mich angerufen. Mit dem Telefon. Direkt hier, wo ich wohne.«
    »Gut«, sagte ich. »Dann brauchen Sie gar keinen Detektiv. Und wenn doch, dann haben Sie einen besseren in Ihrer eigenen Familie. Ich habe noch nicht mal rausgebracht, wo Sie wohnen.«
    Darauf eine kurze Pause. jedenfalls, sie brachte mich dazu, mit ihr zu reden. Sie schaffte es, daß ich nicht auflegte. Das mußte man ihr lassen.
    »Ich hatte ihm geschrieben, wo ich wohnen wollte«, sagte sie schließlich.
    »Hmhm. Nur hat er den Brief nicht bekommen, weil er weggezogen ist und keine neue Adresse hinterlassen hat. Wissen Sie noch? Versuchen Sie's noch mal, wenn ich nicht so müde bin. Gute Nacht, Miss Quest. Und Sie brauchen mir nicht zu sagen, wo Sie jetzt sind. Ich arbeite nicht für Sie.«
    »In Ordnung, Mr. Marlowe. Ich bin jetzt soweit und rufe die Polizei. Aber ich tue es nicht gern, ich tue es gar nicht gern.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es um Mord geht, Mr. Marlowe. Und Mord ist ein sehr häßliches Wort - finden Sie nicht?«
    »Kommen Sie schon her«, sagte ich. »Ich warte.«
    Ich legte auf. Ich holte die Flasche mit dem Old Forester raus. Ich würde nicht sagen, daß es mit Gemütsruhe war, als ich mir einen Drink eingoß und ihn durch die Gurgel schüttete.

15
    Diesmal kam sie forsch herein. Ihre Bewegungen waren kurz, rasch und entschlossen.
    Auf ihrem Gesicht war so ein kleines, dünnes, helles Lächeln. Sie legte ruhig ihre Tasche ab, nahm Platz im Kundensessel und lächelte weiter.
    »Nett von Ihnen, daß Sie gewartet haben«, sagte sie. »Sie haben sicher noch nicht mal was gegessen.«
    »Falsch«, sagte ich. »Ich hab mein Essen gehabt. Ich trinke jetzt Whisky. Sie schätzen es nicht, wenn man Whisky trinkt, oder?«
    »Absolut nicht.«
    »Das ist prima«, sagte ich. »Ich hatte gehofft, daß Sie dabei bleiben.« Ich stellte die Flasche auf den Tisch und goß mir noch einen ein. Ich trank ein bißchen davon und warf ihr, über das Glas weg, einen schmierigen Blick zu.
    »Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie bald nicht mehr verstehen können, was ich Ihnen sage«, sagte sie böse.
    »Was den Mord betrifft«, sagte ich. »Jemand, den ich kenne? Wie ich sehe, sind Sie nicht ermordet - noch nicht.«
    »Bitte, nicht so gräßlich, wenn es sich vermeiden läßt. Ich kann nichts dafür. Am Telefon haben Sie mir nicht glauben wollen, also mußte ich Sie irgendwie überzeugen.
    Orrin hat mich wirklich angerufen. Aber er wollte nicht sagen, wo er war und was er machte. Ich weiß nicht warum.«
    »Er wollte, daß Sie das selber rauskriegen«, sagte ich. »Er will Ihren Charakter bilden.«
    »Das ist nicht komisch. Es ist noch nicht mal schlau.«
    »Aber frech ist es, das müssen Sie zugeben«, sagte ich. »Wer ist denn ermordet worden? Oder ist das auch ein Geheimnis?«
    Sie fummelte ein bißchen mit ihrer Tasche herum, nicht genug, um über ihre Verlegenheit hinwegzukommen, denn sie war nicht verlegen. Aber genug, um mich so zu reizen, daß ich mir noch einen Drink genehmigte.
    »Dieser schreckliche Mann in der Pension da ist ermordet worden. Mr. - Mr. - ich habe den Namen vergessen.«
    »Wir wollen ihn beide vergessen«, sagte ich. »Wenigstens einmal wollen wir was zusammen tun.« Ich steckte die Whisky-Flasche in die Schreibtischschublade und stand auf. »Hören Sie mal, Orfamay, ich frage Sie gar nicht,

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