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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Mann, der neben Mavis Weld saß, lag eine Zeitung, die >News Chronicle<. Ich konnte gerade noch die Schlagzeile lesen: HALBSCHWERGEWICHTS-BOXER ERLIEG
    KAMPFVERLETZUNG.
    Nur eine Mittags-Sportausgabe, oder eine spät am Abend konnte so eine Schlagzeile drucken. Ich zog das Telefon zu mir her. Gerade, als ich meine Hand darauf legte, klingelte es.
    »Marlowe? Hier spricht Christy French, aus der Stadt. Gibt's was Neues?«
    »Nichts, wenn Ihr Fernschreiber geht. Ich habe eine Zeitung aus Bay City gelesen.«
    »Ham' wir auch«, sagte er gemütlich. »Hört sich an wie derselbe Kerl, was? Die gleiche Situation, gleiche Einzelheiten, die gleiche Mordwaffe, und die Zeiten passen zusammen. Ich hoffe zu Gott, es bedeutet nicht, daß Sunny Moe Steins Firma wieder im Geschäft ist.«
    »Wenn es die sind, dann haben sie eine andere Technik«, sagte ich. »Gestern abend habe ich es noch mal nachgelesen. Steins Leute haben immer viele Löcher in ihre Opfer gestochen. Eines hatte über hundert Stichwunden.«
    »Sie könnten ja was dazulernen«, sagte French, ein bißchen ausweichend, als ob er nicht gerne darüber redete. »Weswegen ich Sie anrufe, ist Flack. Haben Sie seit gestern nachmittag was von ihm gesehen?«
    »Nein.«
    »Er ist verduftet. Kam nicht zur Arbeit. Das Hotel hat bei der Wirtin angerufen. Er hat gestern nacht gepackt und fuhr weg. Wohin ist nicht bekannt.«
    »Ich habe ihn nicht gesehen und nichts von ihm gehört«, sagte ich.
    »Kam es Ihnen nicht ein bißchen komisch vor, daß unsere Leiche nur vierzehn Dollar im Sack hatte?«
    »Ein bißchen schon. Sie haben es schon gesagt.«
    »Ich rede ins unreine. Da stimmt was nicht. Flack hat Angst, oder er ist zu Geld gekommen. Entweder hat er was gesehen und bekam Geld, um zu verschwinden, oder er hat den Kunden ausgenommen und vierzehn Dollar drin gelassen, damit es besser aussah.«
    Ich sagte: »Könnte beides stimmen. Oder beides zugleich. Wer das Zimmer so gründlich durchsucht hat, hat nicht nach Geld gesucht.«
    »Wieso nicht?«
    »Als dieser Dr. Hambleton mich anrief, habe ich ihm das Hotel-Safe empfohlen. Das interessierte ihn nicht.«
    »So ein Typ würde sowieso nicht gerade Sie angestellt haben, um sein Geld festzuhalten«, sagte French. »Er würde überhaupt nichts bei Ihnen aufbewahren lassen. Er wollte Schutz oder er wollte einen Komplizen - oder vielleicht nur einen Boten.«
    »Bedaure«, sagte ich. »Er hat mir genau das gesagt, was ich Ihnen gesagt habe.«
    »Und als Sie sahen, daß er tot war, als Sie hinkamen«, sagte French mit etwas zu großer Lässigkeit, »konnten Sie ihm ja wohl keine von Ihren Geschäftskarten überreicht haben.«
    Ich hielt das Telefon sehr stramm und dachte schnell noch einmal zurück an mein Gespräch mit Hicks im Logierhaus in der Idaho Street. Ich sah, wie er meine Karte zwischen seinen Fingern hielt und auf sie herunterblickte. Und dann sah ich, wie ich sie schnell aus seiner Hand zog, bevor er sie festhalten konnte. Ich atmete tief ein und ließ den Atem langsam wieder raus.
    »Kaum«, sagte ich. »Und hören Sie auf, mich zu Tode zu erschrecken.«
    »Er hatte aber eine, Freundchen. Sie war zweimal geknickt in der Uhrentasche in der Hose. Beim ersten Mal haben wir sie nicht gefunden.«
    »Ich habe Flack eine Karte gegeben«, sagte ich mit verkniffenen Lippen.
    Es herrschte Stille. Ich konnte im Hintergrund Stimmen hören und das Klacken einer Schreibmaschine. Schließlich sagte French trocken: »Na schön. Wir sehen uns später.«
    Er legte abrupt auf.
    Ich legte den Hörer sehr langsam in die Gabel und bewegte meine verkrampften Finger.
    Ich starrte auf das Foto, das vor mir auf dem Schreibtisch lag. Ich ersah aus ihm nur, daß zwei Leute, von denen ich den einen kannte, im Lokal >The Dancers~ aßen. Die Zeitung auf dem Tisch gab das Datum an oder machte es feststellbar.
    Ich wählte den >News Chronicle< und fragte nach der Sportredaktion. Vier Minuten später schrieb ich auf einen Block: Ritchie Belleau, ein populärer Halbschwergewichtsboxer, starb im >Sisters Hospital< am 19. Februar kurz vor Mitternacht an den Folgen von Verletzungen, die er am Abend zuvor in einem Hauptkampf im Hollywood Legion Stadium erlitten hatte. Die Mittags-Sportausgabe des
    >News Chronicle< VOM 20. Februar hatte die Schlagzeile. Ich wählte noch einmal dieselbe Nummer und fragte nach Kenny Haste in der Lokalredaktion. Er war früher Kriminalreporter gewesen, und ich kannte ihn seit Jahren. Wir schwatzten eine Minute über alles mögliche,

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