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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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meiner Schwester Leila«, fuhr sie mich an.
    »Lassen Sie meine Schwester Leila aus Ihren schmutzigen Reden.«
    »Was für schmutzige Reden?« fragte ich. »Soll ich raten?«
    »Alles, was Sie denken, ist Schnaps und Frauen«, kreischte sie. »Ich hasse Sie!« Sie rannte zur Tür, riß sie auf und war draußen. Durch den Gang lief sie im Galopp.
    Ich ging wieder um meinen Schreibtisch herum und ließ mich in den Sessel fallen. Ein ziemlich komisches Mädchen. Wirklich ziemlich komisch. Etwas später fing das Telefon wieder an zu klingeln, es ging wohl nicht anders. Nach dem vierten Klingeln legte ich den Kopf in die Hand, angelte nach dem Hörer, holte ihn mir ans Gesicht.
    »Bestattungsunternehmen McKinley der Letzte«, sagte ich.
    Eine weibliche Stimme rief »Waas?, und brach in brüllendes Gelächter aus. 1921, in der Polizeikantine, war das schon ein großer Lacherfolg. Was für ein Witzbold. Wie der Schnabel von einem Kolibri. Ich machte die Lampen aus und ging heim.

16
    Um acht Uhr fünfundvierzig am nächsten Morgen konnte man mich ein paar Häuser vor dem Fotogeschäft von Bay City sehen, wo ich parkte - befrühstückt, friedlich, in der Hand die Lokalzeitung, die ich durch eine Sonnenbrille las. Ich hatte schon die Zeitung von Los Angeles durchgeackert, in der nichts über Eisdorne im Van Nuys Hotel oder sonst einem Hotel stand. Nicht mal >Geheimnisvoller Tod in einem City Hotel<, ohne Angabe von Namen oder der Art der Waffe. Die >Bay City News< waren sich nicht zu gut, um über einen Mord zu berichten. Sie setzten ihn gleich auf die Frontseite, direkt neben die Fleischpreise.
    EINHEIMISCHER IN PENSION IN DER IDAHO STREET ERSTOCHEN
    AUFGEFUNDEN
    »Durch einen anonymen Telefonanruf wurde die Polizei gestern zu einer Adresse in der Idaho Street geschickt, gegenüber dem Holzlager der Firma Seamans & Jansing. Als sie durch die unverschlossene Wohnungstür traten, entdeckten Beamte den Verwalter des Hauses, Lester B. Clausen, 45, tot auf der Couch in seiner Wohnung. Clausen war mit einem Eisdorn in den Hals gestochen worden, die Waffe befand sich noch im Körper. Nach einer vorläufigen Untersuchung gab Richter Frank L. Crowdy bekannt, daß Clausen stark getrunken hatte und zur Todeszeit möglicherweise nicht bei Bewußtsein war. Die Polizei fand keine Anzeichen eines Kampfes.
    Polizeileutnant Moses Maglashan übernahm sofort den Fall und befragte die Bewohner des Logierhauses, als sie von ihrer Arbeit zurückkehrten, aber die Umstände des Verbrechens blieben bisher im dunkeln. Auf die Fragen von Reportern erklärte Richter Crowdy, daß Clausen möglicherweise Selbstmord begangen haben könnte, daß jedoch die Lage der Wunde dies unwahrscheinlich mache. Bei der Überprüfung des Meldebuchs ergab es sich, daß eine Seite kürzlich herausgerissen worden war.
    Leutnant Maglashan erklärte nach eingehender Befragung der Bewohner, daß ein gedrungener Mann mittleren Alters, mit braunem Haar und ausgeprägten Gesichtszügen, mehrere Male in der Eingangshalle des Logierhauses gesehen worden ist, daß jedoch keiner der Mieter seinen Namen oder seine Beschäftigung kannte.
    Nachdem alle Zimmer sorgfältig untersucht worden waren, ergab sich nach Meinung von Maglashan, daß einer der Bewohner vor kurzem mit ziemlicher Eile ausgezogen war. Aber durch die Verstümmelung des Meldebuchs, dem besonderen Charakter der Gegend und das Fehlen einer genauen Personenbeschreibung des Vermißten werde seine Auffindung außerordentlich schwierig. Ich habe keine Ahnung, warum Clausen ermordet wurde<, erklärte Maglashan gestern abend zu später Stunde. Aber ich hatte den Mann schon einige Zeit unter Beobachtung. Viele Personen aus seiner Umgebung sind mir bekannt. Es ist ein schwieriger Fall, aber wir werden ihn lösen.<«
    Es war ein hübsches Stück Prosa, und Maglashans Name wurde nur zwölfmal im Text erwähnt und dann noch zweimal in Bildunterschriften. Auf Seite drei war ein Foto von ihm, wie er einen Eisdorn hielt und ihn ansah, wobei tiefe Gedanken seine Stirne furchten. Es gab ein Foto von der Idaho Street 449, mehr als lebensecht, und ein Foto von etwas mit einem Laken drüber, daneben Maglashan, der finster darauf deutete.
    Außerdem war eine Nahaufnahme vom Bürgermeister darin, der sehr bedeutend aussah hinter seinem amtlichen Schreibtisch, sowie ein Interview mit ihm über die Frage der Verbrechensentwicklung nach dem Kriege. Er sagte genau das, was man von einem Bürgermeister erwartet - ein Schuß J. Edgar Hoover,

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