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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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dann sagte ich:
    »Wer hat denn bei euch über den Mord an Sunny Moe Stein geschrieben?«
    »Tod Barrow. Er ist jetzt beim >Post Despatch<. Warum?«
    »Ich hätte gerne die Details, wenn es welche gab.«
    Er sagte, er würde jemand zum Leichenhaus schicken, die Akte holen lassen und mich zurückrufen; zehn Minuten später rief er zurück. »Er war in seinem Auto, zwei Straßen vor dem Chateau Bercy an der Franklin Avenue: er wurde zweimal in den Kopf geschossen. Die Zeit: etwa 11 Uhr 15 nachts.«
    »Und das Datum: 20. Februar«, sagte ich. »Oder war's das wirklich?«
    »Jawohl, stimmt. Keine Zeugen, keine Verhaftungen, außer die übliche Stammbesetzung von Buchmachern, früheren Box-Agenten und anderen berufsmäßigen Verdächtigen. Was steckt denn dahinter?«
    »Sollte nicht ein alter Kumpel von ihm ungefähr zu dieser Zeit in der Stadt sein?«
    »Hier steht nichts darüber. Name?«
    »Weepy Moyer. Ein Freund bei den Polypen sagte irgendwas von einem Geldmann aus Hollywood, den man auf Verdacht eingesperrt und später wegen Mangels an Beweisen freigelassen hätte.«
    Kenny sagte: »Warte mal. Langsam erinnere ich mich wieder - ja! Ein Kerl namens Steelgrave, Besitzer von >The Dancers<, soll ein Spieler sein und so weiter. Netter Bursche, ich habe ihn kennengelernt. Er war eine Niete.«
    »Was willst du damit sagen, eine Niete?«
    »Irgendein Schlaumeier hat es den Polypen gesteckt, der wäre Weepy Moyer, und sie hielten ihn zehn Tage in Haft wegen eines ungeklärten Falles in Cleveland. In Cleveland wußten sie nichts. Er hatte nichts mit dem Mord an Stein zu tun. Die ganze Woche war Steelgrave hinter Schloß und Riegel. Keinerlei Kontakte. Der Freund der Polizei hatte einen Groschenkrimi gelesen.«
    »Das tun sie alle«, sagte ich. »Daher ihre kesse Lippe. Vielen Dank, Kenny.«
    Wir verabschiedeten uns und legten auf; ich lehnte mich in meinen Sessel und betrachtete mein Foto. Nach einer Weile nahm ich eine Schere und schnitt das Stück heraus, auf dem die zusammengefaltete Zeitung mit der Schlagzeile zu sehen war. Ich schob die beiden Stücke je in einen Umschlag und steckte sie zusammen mit dem Blatt aus dem Block in meine Tasche.
    Ich wählte die Nummer von Mavis Weld an der Crestview Avenue. Nach längerem Klingeln antwortete eine Frauenstimme. Es war eine zurückhaltende und förmliche Stimme, die ich vielleicht schon mal gehört hatte oder auch nicht. Sie sagte nur:
    »Hallo?«
    »Hier spricht Philip Marlowe. Ist Miss Weld da?«
    »Miss Weld wird nicht vor dem späten Abend zurück sein. Möchten Sie etwas ausrichten lassen?«
    »Sehr wichtig. Wo kann ich sie erreichen?«
    »Tut mir leid. Ich bin nicht informiert.«
    »Kann ihr Agent es wiesen?«
    »Möglich.«
    »Wissen Sie bestimmt, daß Sie nicht Miss Weld sind?«
    »Miss Weld ist nicht da.« Sie legte auf.
    Da saß ich nun und lauschte der Stimme. Zuerst dachte ich ja, dann dachte ich nein. je mehr ich dachte, desto weniger wußte ich's. Ich ging runter zum Parkplatz und holte den Wagen raus.

17
    Auf der Terrasse von >The Dancers~ fingen die Frühaufsteher allmählich an, zu Mittag zu trinken. Vor dem verglasten Raum im Oberstock hatte man die Markise herausgedreht. Ich fuhr um die Kurve, die dann zum Sunset Boulevard hinunterführt, und hielt gegenüber vor einem viereckigen, zweistöckigen Gebäude aus rosa Backsteinen an, das kleine weiße Bleiglasfenster in einem Erker hatte, einen griechischen Giebel über der Eingangstür und etwas, das von der anderen Straßenseite wie ein antiker zinnener Türklopfer aussah. Über der Tür waren ein gefächertes Rundfenster und der Name Sheridan Ballou & Co. in strengen schwarzen Holzbuchstaben angebracht. Ich schloß meinen Wagen ab und ging zur Eingangstür hinüber. Sie war weiß und hoch und breit, und das Schlüsselloch war groß genug, daß eine Maus durchschlüpfen konnte. Innen im Schlüsselloch war das eigentliche Schloß.
    Ich probierte den Türklopfer, aber auch daran hatte man gedacht. Es war alles aus einem Stück und nicht zum Klopfen.
    Also tätschelte ich eine der schlanken, gekehlten weißen Säulen, öffnete die Tür und spazierte direkt in den Empfangsraum, der die ganze Vorderseite des Gebäudes ausfüllte. Er war mit dunklen, antik aussehenden Möbeln und vielen Sesseln und Polsterbänken aus einem gesteppten, chintzartigen Zeug ausgestattet. An den Fenstern waren Spitzenvorhänge und Chintzeinfassungen darum herum, die zu dem Chintz des ganzen Mobiliars paßten. Ein geblümter Teppich war

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