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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Aluminium ab, holte zärtlich die Zigarre heraus und untersuchte sie sorgfältig auf Muttermale. »Will ich gar nicht abstreiten. Könnten wir nicht mal ein bißchen was vorzeigen? Dann sehen wir ja. Bis jetzt haben Sie bloß Sprechproben gegeben. So was hören wir so oft, daß es uns überhaupt nicht mehr beeindruckt.«
    Ich sah ihm zu, wie er sein Feuerzeug schnappen ließ und seine eindrucksvolle Zigarre anzündete. »Woher weiß ich denn, daß Sie ihn nicht hinters Licht führen?« fragte ich listig. Spinks Äuglein blinzelten, und es kam mir fast so vor, als stünden Tränen darin.
    »Ich und Sherry Ballou betrügen?« fragte er mit gebrochener, gedämpfter Stimme - das reinste Staatsbegräbnis. »Ich? Eher würde ich meine eigene Mutter betrügen.« »Das heißt auch nicht viel mehr«, sagte ich. »Ich kenne ja Ihre Mutter nicht.«
    Spink legte seine Zigarre in einen Aschenbecher von der Größe eines Vogelbads. Er wedelte mit seinen Armen. Schmerz verzerrte sein Herz. »Freund, o Freund. Wie reden Sie nur«, jammerte er. »Ich liebe Sherry Ballou wie meinen Vater. ja mehr noch. Mein Vater - na ja, lassen wir das. Also los, junge. Ein bißchen Menschlichkeit. Kommen Sie zu mir - Freundschaft und Vertrauen. Spinnen Sie mal Ihr Garn für den kleinen Spink, ja?«
    Ich zog ein Kuvert aus meiner Tasche und warf es ihm über den Schreibtisch. Er zog das einzelne Foto heraus und betrachtete es ernsthaft. Er legte es auf den Schreibtisch.
    Er hob den Blick zu mir, sah abwärts auf das Foto und wieder auf mich. »Na und?«
    fragte er hölzern. Auf einmal war nichts mehr in seiner Stimme, nichts von dem guten alten Vertrauen, nichts von der Freundlichkeit, von der er immer geredet hatte. »Was ist denn da so Tolles dran?«
    »Muß ich Ihnen sagen, wer die Frau ist?«
    »Wer ist der Kerl?« zischte Spink.
    Ich sagte nichts.
    »Ich hab gefragt, wer der Kerl ist.« Spink kreischte beinahe. »Spuck's aus, spuck's aus.« Ich sagte immer noch nichts. Spink griff langsam nach dem Telefon und ließ dabei seine harten hellen Augen auf meinem Gesicht ruhen.
    »Nur zu. Rufen Sie sie an«, sagte ich. »Rufen Sie in der City an, fragen Sie nach Leutnant Christy French vom Morddezernat. Noch so ein junge, der sich nichts sagen lassen will.«
    Spink nahm die Hand vom Telefon. Er stand langsam auf und verschwand mit dem Foto. Ich wartete. Draußen auf dem Sunset Boulevard strich der Verkehr vorbei, eintönig, weit weg. Lautlos tropften die Minuten in den Brunnen. Einen Augenblick lang tanzte der Rauch von Spinks brennender Zigarre in der Luft, dann wurde er von der Öffnung des Air-Conditioners eingesaugt. Ich schaute die unzähligen Fotos an den Wänden an, alle mit Autogramm, alle Sherry Ballou gewidmet, von jemand in ewiger Freundschaft. Ich schätzte, daß sie wohl alle zweite oder dritte Klasse waren, wenn sie schon in Spinks Büro hingen.

18
    Nach einer Weile kehrte Spink zurück und machte ein Zeichen, daß ich folgen solle. Ich folgte ihm durch den Gang durch zwei Türen in ein Vorzimmer mit zwei Sekretärinnen.
    Danach weitere Doppeltüren aus schwerem schwarzem Glas mit silbernen Pfauen, die in die Scheiben geätzt waren. Die Türen öffneten sich von selbst, wenn wir uns näherten.
    Ich stieg drei Teppichstufen abwärts in ein Büro, in dem nichts fehlte außer einem Swimming-pool. Zwei Stockwerke hoch, ringsherum eine Empore voll mit Bücherborden. In einer Ecke standen ein großer Steinway-Konzertflügel, viel Glas und helle Holzmöbel, ein Schreibtisch so groß wie ein Badmintonplatz, Sessel und Couches und Tische, und auf einer der Couches ein Mann ohne Jacke, mit offenem Hemd und einem Angorashawl; den Angorashawl hätte man im Dunkeln gefunden - so wie er schnurrte. Auf den Augen und der Stirn des Mannes lag ein weißes Tuch, und ein geschmeidiges Mädchen war gerade dabei, an einem Tisch daneben ein frisches Tuch über einer silbernen Schüssel mit Eiswasser auszuwringen.
    Der Mann war ein großer, gutgebauter Bursche mit welligern dunklem Haar und einem kräftigen braunen Gesicht unter dem weißen Tuch. Ein Arm hing zum Teppich herunter, zwischen den Fingern hing eine Zigarette, von der ein kleines bißchen Rauch sich kräuselte.
    Das blonde Mädchen wechselte behende die Tücher. Der Mann auf der Couch stöhnte.
    Spink sagte: »Das ist der junge, Sherry. Heißt Marlowe.«
    Der Mann auf der Couch stöhnte. »Was will er denn?«
    Spink sagte: »Er will nicht heraus damit.«
    Der Mann auf der Couch sagte: »Wozu hast

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